Wir alle wurden gestern Zeuge eines geschichtlichen Ereignisses, das einst als „der große Brand von Notre Dame“ in den Geschichtsbüchern stehen wird. Ich gebe gerne zu, dass mich, obwohl ich Atheist bin, dieser Brand ziemlich mitgenommen und beschäftigt hat. Nicht alleine wegen des Brandes, jeden Tag brennen irgendwo Gebäude und Häuser, sondern wegen des Brandes exakt dieses Gebäudes. Und wegen der Reaktionen darauf. Und ich frage mich, warum das so ist. Warum ich so „gestrickt“ bin, dass mich der Brand einer Kirche derart bewegt.
Weil es eben nicht nur eine X-beliebige Kirche ist. Weil es Notre Dame ist. Weil es eine Kirche ist, die über 150 Jahre gebaut wurde, eine Kirche, die 800 Jahre überdauert hat. Weil Notre Dame nicht nur ein Wahrzeichen von Paris, sondern ein Symbol für das christliche Abendland ist.
Im Leben von Menschen gibt es Konstanten und unverrückbare Wahrheiten: Eltern sterben nicht. Kinder sterben nicht. In Istanbul/Konstantinopel/Byzanz steht die Hagia Sophia. In London steht Westminster Abbey. In Paris steht Notre Dame. Und Eltern und Kinder sterben doch. Das ist der Lauf des Lebens. In Paris steht trotzdem Notre Dame. 800 Jahre, das sind 32 Generationen, die dort auf die Seine herunterblicken. Egal, welche Kriege und Revolutionen es gab, welche Stürme, Unwetter, Überschwemmungen und Krankheiten Paris erleiden musste, welche Schändungen dieses Haus hat über sich ergehen lassen müssen, wie viele Menschen darin getauft oder ausgesegnet wurden, wie viele Könige und Kaiser hier gekrönt wurden, in aller Pracht und allem Elend, Notre Dame hat alles gesehen. Und steht immer noch. Und ist trotzdem nicht für die Ewigkeit. Und selbst in 1.000 Jahren werden die Grundmauern noch sein, wenn Notre Dame tatsächlich eines Tages im Lauf der Zeit fällt.
Millionen von Menschen haben Notre Dame von innen gesehen, wissen, wie Notre Dame riecht. Noch mehr Millionen Menschen haben Notre Dame von außen gesehen und würde man einen x-beliebigen Menschen nach den drei Wahrzeichen von Paris fragen – Notre Dame wäre mit Sicherheit dabei. Deswegen heißt es ja „Weltkulturerbe“. Und weder Napoleon, noch Blücher, noch die Nazis haben sich getraut, diese Kirche zu vernichten. In dem Wissen, was dieses Bauwerk bedeutet und welches Symbol es ist. Notre Dame ist nicht nur Frankreich – es ist Europa, ist das christliche Abendland. Dafür steht dieses Bauwerk, an dem hunderte Architekten, Statiker und Handwerker seit 800 Jahren arbeiten und das mit einfachsten Mitteln in den Himmel gezogen wurde.
Umso mehr macht es mich betroffen und wütend, wenn ich Kommentare im Stil von „ist doch nur ein Gebäude, das gebrannt hat“ lesen muss. Als wäre Notre Dame eine beschissene Turnhalle in Prollhausen. Wenn das nur ein Einzelkommentar gewesen wäre – geschenkt. Aber es gab auf allen Kanälen ganz viele solcher Kommentare zu lesen. Wie dumm und armselig und ungebildet muss eigentlich jemand sein, für den Notre Dame „nur ein Gebäude“ ist? Wie wenig weiß ein solcher Kommentator vom Leben? Von dem, was „uns“ ausmachen sollte? Ist für diese Menschen Mohammed „auch nur so ein Typ“ und Hiroshima „auch nur so eine Explosion“?
„Die Partei Oberbayern“ hat sich auf ihrer Facebook-Seite vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt. Witzigwitzig, der Brand von Notre Dame. Mal im Ernst: Wenn das der Partei-Humor ist, dann lese ich lieber die Toilettensprüche in einem Bahnhofsklo. Die sind gehaltvoller.
Hübsch auch die Kommentare auf Al Jazeera. Von 2.400 Reaktionen sind 1.752 „Likes“ und 308 „Hihihis“. Ein ähnliches Bild fand sich vor den Putzkolonnen auch auf Bild, der FAZ und der Welt. Kommentare, die von „geschieht Euch recht“ über „an die Menschen im Mittelmeer denkt keiner“ bis hin zu „nach dem Tempelberg fragt auch niemand“ reichten. Hier wurden unheimlich viel Rotz und Häme ausgegossen. Von, hier darf ich es sagen, Barbaren, die hier nie heimisch geworden sind und nie heimisch werden. Weil sie unsere Kultur, oder überhaupt menschliche Kultur, nicht verstanden haben und je verstehen werden. Und von den üblichen Appeasern, die allem Applaus spenden, solange es nur ein hübscher Kackhaufen im eigenen Wohnzimmer ist. Wozu brauchen wir das noch einmal gleich dringend in Europa?
Natürlich gibt es dann auch die anderen Bekloppten: Die, die dringend einen Anschlag vermuten. Kann ja gar nicht anders sein. Macron will von den Gelbwesten ablenken und hat Notre Dame angezündet, der IS hat Notre Dame angezündet, die Front Nationale hat Notre Dame angezündet, die Reptiloiden von Beteigeuze haben Notre Dame angezündet. Keine schwachsinnige Theorie ist abartig genug, als dass es die „schon-immer-gewusst-Habenden“ nicht schon immer gewusst hätten. Nostradamus statt Notre Dame.
Und ich lese die Krämerseelen: „Macron will Notre Dame wieder aufbauen, wahrscheinlich hat ihm Merkel schon einen Scheck geschickt“. Diesen dämlichen Erbsenzählern rufe ich an dieser Stelle zu: Wenn es je eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern gab, dann diese. Da zahle ich gerne. Viel lieber jedenfalls als für gendergerechte Toiletten in Berlin oder Barbaren aus dem Morgenlande, die hier zwar weder säen, noch ernten und hier trotzdem am Schnaufen gehalten werden und mir dafür auch noch fröhlich ins Gesicht spucken. Und ja – ich würde auch den gleichen Betrag befürworten, hätten die Hagia Sophia oder die Blaue Moschee gebrannt. „Weltkulturerbe“. Es hat einen Grund, warum das so heißt, Ihr Schwachköpfe. Und ich finde schon, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob meine Enkel einst die Turnhalle von Prolllhausen oder die Notre Dame besichtigen können.
Der Brand von Notre Dame führt uns nicht nur vor Augen, dass nichts – aber auch gar nichts – für die Ewigkeit ist. Dass alles zerbrechlich ist und zerbrochen werden kann. Er zeigt uns auch den Grad der Verrohung, Verdummung und Barbarisierung eines großen Teils der Bevölkerung dieses kleinen Kontinents. Die eigentlich keine Notre Dame, keinen Eiffelturm und keinen Arc de Triomphe verdient hat, sondern lediglich Szenekneipen für die jeweilige Peer-Group.
800 Jahre hat die Kathedrale gestanden. 800 Jahre überdauert. Bis, nach bisherigem Stand, irgendein Hein Blöd nicht so richtig ordentlich gearbeitet und sie halb abgefackelt hat. Ich wüsste gerne, wie der sich heute fühlt. Oder lieber doch nicht.
Notre Dame wird wieder auferstehen. Nicht mehr so, wie sie war, sondern anders, verändert. Ich traue den Franzosen zu, den verbrannten Dachstuhl durch ein modernes Glasdach oder eine Betonkuppel zu ersetzen. Aber die alte Dame wird die Narbe so oder so gelassen tragen. Auch eine Notre Dame bewegt sich im Fluss der Zeit. Bei aller Trauer bin ich doch froh, dass sie weiterhin auf der Ile de la Cité über Paris, Frankreich und Europa wachen wird. Alors.
Okay, Sie haben es ja nicht anders gewollt. Ab jetzt kriegen Sie lecker Newsletter von mir. Falls Sie das lieber doch nicht wollen - kurze Email genügt.
Verdammt. Irgendetwas ging schief. Daran ist nr die AfD schuld. Bitte nochmal probieren!