Ich habe es kurz nach der Wahl Kemmerichs geschrieben und ich schreibe es wieder: Sein Rücktritt war richtig, die Begründung war falsch. 73 Stimmen, die die FDP in den Thüringer Landtag gebracht haben, berechtigen nicht zum Stellen des Ministerpräsidenten und würden den Wählerwillen konterkarieren. Auf diese Erkenntnis hätte die FDP auch drei Tage warten können, aber Christian Lindner war schneller in Erfurt, als Kemmerich „huch“ sagen konnte. Wie dem auch sei: Die Milch liegt im Korn, die Flinte im Brunnen und das Kind ist verschüttet. Die verzweifelte FDP sitzt zwischen allen Stühlen, weil sie vor Leuten eingenickt ist, für die Bodo Ramelow ein lupenreiner Demokrat ist und die eher Kim Yong Un zur bunten Kanzlerin wählen würden, als einem Liberalen einen Kaffee zu spendieren.
Wohin treibt es nun, das magentafarbene Narrenschiff? Die Wähler, die nie FDP gewählt haben, werden das auch zukünftig nicht tun, die, die sie aus der Hoffnung, die FDP würde liberal-konservatives Rückgrat zeigen, wenden sich enttäuscht und „ja“ – auch ein bisschen angeekelt – ab. Aber exakt diese Schicht Wähler, die Bevormundung ablehnen, die Demokratie tatsächlich leben wollen, die Individualisten und Freiheitsliebenden, das waren auch die, die die FDP endlich wieder über die 5%- Marke gehoben haben. Da kann die FDP in Bayern und Hamburg noch so viel über Digitalisierung maunzen, als es darauf ankam, ein demokratisches Ergebnis, Finte hin oder her, zu verteidigen und im Gegenteil sowohl AfD als auch die Internationale Einheitsfront aus Linke, SPD und Grünen vorzuführen, hat sie krachend versagt. Das, was die FDP an Sympathie für die Verweigerung von Jamaika erhalten hat, hat sie mit Thüringen innerhalb weniger Stunden verspielt. „Bitte geben Sie Ihr politisches Rückgrat am Ausgang des Wahlergebnisses ab“.
Viele liberal-konservative Wähler fühlen sich heimatlos, bestenfalls bleiben sie den nächsten Wahlen fern, schlimmstenfalls suchen sie ihr Heil-Höcke bei der AfD. Bei der gleichzeitigen Hatz des linken Unionsflügels (ja, den gibt es sogar sehr zahlreich, der ist ebenfalls grün, hat aber den Jagdschein und hübsche Geländewagen) auf die Werteunion werden immer mehr Rufe laut, doch eine neue liberal-konservative Partei aus Teilen der Liberalen und der Werteunion zu gründen. Eine, die für die klassischen Bürger ohne Glutenallergie und blaue Haare wählbar wäre, die sich scharf gegen den rechten Rand, aber auch scharf gegen die mal mehr, mal weniger linksgrünen Parteien abgrenzt. Die vielleicht auch für die Gemäßigten innerhalb der AfD wählbar wäre. Wäre so eine Partei denkbar?
Die AfD würde behaupten, dass das unnötig wäre, sie sei ja bereits genau diese Partei. Das hätte sie gerne, aber solange die AfD einen Gedeon durch die Kulissen tappen hat, der öfter mal über den eigenen Antisemitismus stolpert oder einen Kalbitz, der rein optisch schon den Heinrich-Himmler-Look-alike-Contest gewinnen würde, in beinhart rechtsextremen Gruppierungen umherirrte und so lustige Sachen wie „Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses Land. Danach kommt nur noch ‚Helm auf’. Und das möchte ich nicht“ sagt, bleibt die AfD, ähnlich der Linken, ein Sammelbecken chronisch unzufriedener Haudraufs, die sich einen Bürgerkrieg herbeifaseln, um „endlich mal klar Schiff“ machen zu können. Oder, wie es Höcke letzthin vor der Pegida formulierte: „Das Land steht Kopf. Wir müssen es wieder auf die Füße stellen, wir müssen das Unterste wieder nach unten stellen. Wir werden diesen Kampf gemeinsam führen und gemeinsam gewinnen.“ Da fehlt eigentlich nur noch der Nachhalbsatz: „…oder ich werde dieses Ende nicht erleben.“ Nein, liberal-konservativ oder auch nur bürgerlich geht da völlig anders.
Tatsächlich scheint es also nach dem schmachvollen Rückzug der FDP aus der bürgerlichen Verantwortung eine womöglich gar keine so schmale Leerstelle zu geben, die jetzt zu füllen wäre. Theoretisch wäre das aus Teilen der Wertunion mit den Liberalen denkbar, die beide nicht so weit entfernt voneinander liegen, als dass sie nicht einen Konsens finden könnten, zumal sowohl die liberal-Konservativen der FDP als auch die Werteunion bundesweit gut vernetzt sind. Und auch nicht jeder progressive Unionist ist von einer weiteren Merkelschaft, diesmal dann von Habecks Gnaden, so rest- und hemmungslos begeistert wie Daniel Günther, der völlig zu Recht bundesweit unbekannte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins.
Das Problem dabei nennt sich „Zersplitterung“. Nehmen wir einmal an, es gäbe diese Partei. Nennen wir sie meinet- und spaßeshalber „LKU“ – liberal-konservative Union. Nehmen wir ferner an, es gelänge dieser Partei, 12% aller Wählerstimmen zu holen. 5% von der AfD, 2% von der FDP, 5% von der CDU. Die AfD würde das nicht wesentlich schwächen, aber die CDU mutmaßlich kanzlerunfähig machen und der FDP das parlamentarische Genick brechen. Der Robert und die Annalena wären die erste Kanzlerdoppelspitze der Bundesrepublik. Herzlichen Glückwunsch. Die LKU würde programmatisch schwanken müssen zwischen einer „CDU-klassisch, FDP 2.0 und AfD-Light“, eine zumindest „interessante“ Spagat-Übung. Hinzu käme die Gefahr, dass mit der Zeit auch die Höckekalbitze der AfD die LKU unterwandern würden, schlicht und einfach bereits aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus. Auch eine LKU käme also um einen wenigstens weichen Unvereinbarkeitsbeschluss nicht herum.
Daneben würden die etablierten Medien und linken Parteien Zeter und Mordio schreien und die LKU schneller in eine rechtsradikale Ecke schreiben und drücken, als Kemmerich sich „Ministerpräsident a.D.“ nennen durfte. Wer es nicht glaubt, mag gerne Bernd Lucke fragen. Und last but not least sind die demokratischen Friedhöfe voll von Parteien, die das ja bereits versucht haben, seien es beispielsweise „die Bürgerpartei“ oder „die Blauen“. Anderen Alternativen reicht für ihre Parteitage ein Hinterzimmer in der örtlichen Pizzeria, wie beispielsweise „die Humanisten“ und das dürfte sich auf unabsehbare Zeit auch nicht ändern.
Nein, es wird nicht funktionieren. Politik ist nun einmal das Bohren dicker Bretter und das Werben um Mehrheiten. Das ist anstrengend und dauert. Die liberal-konservativen Kräfte in Union und FDP sind dazu verdammt, zu bleiben und weiter zu kämpfen. In der Hoffnung, ihre jeweiligen Parteien wieder auf für eine gar nicht so kleine Wählergruppe gangbare Wege und fahrfähige Wasser zu lenken. Und verloren gegangenes Vertrauen wieder her zu stellen. Dies kann funktionieren – wenn die restbürgerlichen Parteien sich endlich ohne Scham Vorfeldorganisationen ähnlich der FFF-Bewegung der Grünen schaffen. „Es ist noch immer gut gegangen und hat gereicht“ ist keine Option mehr. Und Austreten eigentlich auch nicht. Obwohl es bei Netflix viele coole neue Serien gibt.