Ein Drama in einem Akt
Tüdelüt-tüdelut
„سلام?“
„Hallo? Sprechen Sie Deutsch?“
„Ja, hallo? Was kann ich für Sie tun?“
„Sie für mich? Ehm, nein, also, Hauptmann Stahl-Wolff ist mein Name, Einsatzleiter der KSK-Gruppe „Eichenschwert“. Sie sind doch diese Münchner Familie?“
„Ja, wir wohnen in München, das ist korrekt.“
„Ja und wir haben die Information, dass Sie hier in Kabul Ihre Mutter besuchen, ist das richtig?“
„Ja, das stimmt. Wieso?“
„Ja, also, wir würden Ihnen jetzt anbieten, dass wir Sie evakuieren, weil, jetzt sind wir nun einmal da…“
„Ach, das ist nicht nötig, mein Schwager ist der Befehlshaber der örtlichen Talibaneinheit und mein Cousin ist gestern ebenfalls übergelaufen. Alles schick. Wir kommen schon raus. Schlimmstenfalls fahren wir nach dem Urlaub nach Usbekistan und nehmen da einen Linienflug. Wir kennen die Leute hier!“
„…ach. Ach, das ist ja schade… Sind Sie sicher, dass wir Sie nicht evakuieren sollen?“
„Ganz sicher. Wir kennen uns hier aus!“
„…hm. Das ist jetzt blöd.“
„Was? Warum ist das blöd?“
„Naja, wissen Sie, wir sind eine hochtrainierte Sondereinheit von menschlichen Kampfmaschinen und wir hängen hier jetzt so herum…“
„Ja und?“
„Ja, und eigentlich hatten wir uns auf den Einsatz gefreut und es hätte ja auch ein gutes Bild in der Öffentlichkeit gemacht. Wissen Sie, beim letzten Flug hatten wir nur sieben Leute an Bord und Sie können sich vorstellen, wie dämlich das in der Presse ausgesehen hat…“
„Aber das ist doch nicht mein Problem?“
„Naja, wie man es nimmt. Sie sind doch Deutscher…“
„Auch, „wie man es nimmt“. Aber wir haben deutsche Pässe, das ist richtig!“
„Naja, wir bräuchten jetzt hier schon mal ein Erfolgserlebnis. So für unsere Kanzlerin und die Verteidigungsministerin. Das würde sich gut machen und unser Bild in der Welt verbessern…“
„Ja und?“
„Was ich sagen will: Es ist eigentlich Ihre patriotische Pflicht, sich von uns evakuieren zu lassen…“
„Aber ich will doch gar nicht…“
„Ja, „aber ich will doch garnicht“, Mimimi – meinen Sie vielleicht, ich will? Meinen Sie, die Kameraden – Entschuldigung – Kamerad:innen haben Lust und Laune auf einem staubigen Drecksflughafen in einer der ödesten Gegenden der Welt abzuhängen? Da hätten wir auch in Mecklenburg-Vorpommern bleiben können…“
„Ja, aber was habe ich damit zu tun?“
„Das werde ich Ihnen sagen, Herr… äh… Mammut-Ghaza: Wir, die Bundesrepublik, haben Sie und Ihre Familie damals mit offenen Armen empfangen, haben Sie beschützt, den Schulunterricht bezahlt, den Deutschunterricht bezahlt, wir haben uns den ARSCH für Sie aufgerissen, aber wehe, man verlangt mal einen Gefallen… Es ist Ihre staatsbürgerliche PFLICHT, sich von uns evakuieren zu lassen…!“
„Nein, also, wie gesagt…“
„Wir können Sie da auch mit Gewalt ´rausholen, wenn es sein muss. Was glauben Sie denn, mit wem Sie es zu tun haben?“
„Ach ja? Drohen Sie mir? Dann holen Sie mich doch! Hier sind überall Taliban, das wird für Sie spannend und garantiert kein Spaziergang! Ich versammele die ganze Familie!“
„Genau! Die Chancen stehen für uns also miserabel und wenn einer von uns oder alle dabei draufgehen, dann ist es Ihre Schuld! DAS gibt Ärger in München, wenn Sie wieder zurück sind, aber hallo! Das wollen Sie sich gar nicht vorstellen!“
„Hören Sie, jetzt seien Sie doch nicht sauer. So war das nicht gemeint. Wenn Sie drauf bestehen, dann evakuieren Sie uns eben.“
„Das wollte ich hören.“
„Aber…“
„Was?“
„Die Omma muss mit!“
„Wie, „die Omma muss mit“?“
„Naja, sie kriegt hier eine Scheiß-Rente. Schön ist das nicht.“
„Nein, die bleibt da.“
„Dann evakuieren Sie uns eben nicht!“
„…“
„Wir brauchen Sie nicht! Sie brauchen uns!“
„Na gut. Dann nehmen Sie eben Ihre Mutter mit. Aber NUR die Mutter. Nicht, dass Sie jetzt noch…“
„Neinnein…“
„So von wegen „Schwager und Cousin“ und so Scherze. Ich kenne Euch Moslem-Brüder!“
„Nein, nur die Omma. Deal?“
„Deal! Eine Bitte hätte ich noch…“
„Was denn noch? Wir lassen uns ja evakuieren!“
„Ja, es ist so, dass das schon ziemlich riskant ist. Für uns jetzt. Wäre es Ihnen eventuell möglich, mit dem Taxi zu einem etwas sichereren Platz zu fahren, an dem wir uns treffen? So ein bisschen außerhalb? Wir übernehmen natürlich die Fahrtkosten!“
„Na gut, ich bin ja kooperativ…“
„…aber nicht über 20 Dollar! Und nur gegen Quittung. Ich leg das aus, aber ich muss das dann mit dem Heeresverpflegungsamt abrechnen, verstehen Sie?“
„50 Dollar!“
„Sie Schlawiner! Okay, 40 Dollar. Und keinen Cent mehr. Und da muss ich schon bei den Amerikanern - Verzeihung: Amerikaner:innen - sammeln gehen. Ich gebe Ihnen jetzt die Koordinaten durch. Wir treffen uns um Zwanzig-Hundert auf den Koordinaten – schreiben Sie bitte mit…“
„Moment, Stift… Jetzt!“
„Breite 34°36‘28.51“N, Länge 69°15‘58.01“E“, haben Sie das?“
„Was ist da?“
„Nix. Das ist ja das Coole! Sie erkennen uns an dem Helikopter!“
„Okay. Wir kommen!“
„Ach, und wenn Sie uns noch etwas Gebäck mitbrächten, wir haben etwas Hunger und wir kommen ja sonst hier nicht ´raus!“
„Gut, meine Mutter backt auch noch einen Kuchen!“
„Prima – und sehen Sie zu, dass Sie einigermaßen manierlich aussehen, die Presse wird da sein!“
„Alles klar, mach ich! Bis später!“
„Bis später. Schukran. Over and out.“
„Jaja, bis später… بشپړ احمق“
*Beep*
(Anmerkung: Ich möchte keinesfalls die Leistungen der Bundeswehr bei der Evakuierung einer Familie aus Kabul und speziell der KSK ins Lächerliche ziehen – aber die Welt da draußen ist mittlerweile so surreal geworden, dass wirklich ALLES möglich scheint. Wer sich also aufregt – selbst schuld! Sämtliche Namen sind natürlich frei erfunden)