Der Staatssicherheitsdienst der DDR hatte es nicht leicht: Um einen Dissidenten mundtot zu machen, musste er Dossiers anlegen, Spitzel anwerben (möglichst so, dass diese einigermaßen begeistert und motiviert sind), Führungsoffiziere ausbilden, Wanzen installieren, Telefongespräche abhören, Geruchsproben nehmen, Fahndungshunde ausbilden... Es dauerte schon so ein bisschen, bis man einen deutschen demokratischen Unbürger „zu einem Gespräch zwecks Klärung offener Fragen“ einladen und gegebenenfalls vor oder hinter Gefängnismauern mundtot machen konnte. Nicht auszudenken, wenn es 1989 schon das Internet gegeben hätte. Die armen Mitleser – dauernd Penisvergrößerungsangebote zwecks geheimer Botschaften scannen und archivieren, das wäre ein Knochenjob geworden. Im Rückblick mutet der Aufwand des „Schwerts und Schilds“ der Partei geradezu grotesk an. Was für ein Bohey, um jemanden dingfest zu machen, der Honecker im kleinen Kreis als einen Idioten bezeichnet hat.
Heute, in Zeiten von Netzwerkdurchsetzungsgesetz , Facebook und einem Meldebutton geht das viel schneller und einfacher. Heute darf sich jeder als kleiner Spitzel betätigen, dessen Intelligenzquotient ausreichend ist, auf Facebook den Button für „diesen Beitrag melden“ zu finden. Facebook, sowieso schon panisch wegen entsprechender Fragen, reagiert erst einmal damit, den entsprechenden Beitrag unsichtbar zu machen und den Schreiber drei Tage zu sperren. Mindestens. Dabei kommt es auf den Inhalt des Beitrags gar nicht an, generell schaltet der Facebook-Algorithmus den gemeldeten Beitrag und entsprechenden Verfasser erst einmal ab. Nur für den Fall, dass an der Meldung etwas tatsächlich NetzDG-Relevantes vorliegen könnte. Die Meldemuschi bekommt zur Belohnung für die gute Untat einen herzlichen Dank, weil sie so aufmerksam und aufgeregt mitgelesen hat. Der Beitragsautor hingegen darf sich an einem kleinen Fensterchen erfreuen, das beim nächsten Seitenwechsel aufploppt und ihn höflich auf sein schmutziges Fehlverhalten hinweist. Weswegen er jetzt erst einmal drei Tage Sendepause hat. Dann aber tröstet Facebook, dass der Abgewatschte gerne den Beitrag an irgendjemanden bei Facebook zur Überprüfung zurücksenden kann, der noch einmal drüberschaut – und hoffentlich des Deutschen mächtig ist. Wer auf der Gegnerseite am Melden-Drücker saß, erfährt der potentielle Sünder selbstverständlich nicht. Ließe sich doch ansonsten so eine Systematik erkennen, wer hier wo gegen wen gezielt Stimmung macht und ihn zum Schweigen bringen will.
Mit ziemlich viel Glück und wenn der Wächterrat einen Sinn für Humor, Sarkasmus und Ironie hat, wird die Sperre aufgehoben und der Beitrag wieder wie von Zauberhand sichtbar. Außer, es waren Frauennippel oder andere sekundäre Geschlechtsmerkmale auf irgendeinem Bildchen zu erkennen. Was so mancher Vulvenfotograf schmerzlich erfahren musste. Unerheblich dabei ist übrigens, wie alt der Beitrag tatsächlich ist, selbst sechs bis sieben Jahre alte Beiträge können heute „Hate speech“ sein und so kann ein Nutzer durchaus gesperrt werden, wenn er Helmut Schmidt oder Angela Merkel, als sie noch in der Union war, zitiert. Helmut Schmidt jedenfalls würde heute achtkantig von Mark Zuckerbergs seltsam disozialer Plattform fliegen – im Gegensatz beispielsweise zu Hardcore-Islamisten, Nazis, die wegen Rechtsextremismus selbst aus der SS geschmissen worden wären und Antisemiten, vor denen sich Julius Streicher geekelt hätte.
Die Rücknahme einer Meldung ist natürlich für die Meldemuschi sehr ärgerlich. Erst recht, wenn das Opfer grinsend seinen anonymen Anschwärzer mit den Worten „Wahr wohl nix“ auf seiner Wall grüßt. Da gibt man sich Mühe und verpfeift jemanden anonym – einfach, weil man den doof findet (oder das, was er schreibt) und dann kann man sich nicht einmal als „Stauffenberg für Arme“ fühlen, weil der große Wächterrat versagt hat. Strategisch gibt es jetzt drei Möglichkeiten:
1)Man trägt die Niederlage wie ein Mann. Oder eine Frau. Oder ein Diverser.
2)Man meldet jeden verdammten Beitrag. Irgendetwas wird sich schon finden lassen. Und sei es nur, dass Facebook oder der Kontrahent entnervt aufgeben, wenn das zwanzigste Fenster aufklappt.
3)Der zivile oder strafrechtliche laute Wehklageweg
Einschub: Warum sich Menschen an anderen Menschen, deren Meinung ihnen nicht passen, so derart festbeißen, dass sie bis ins Realleben übergreifen, wäre mit Sicherheit ein ganz interessantes psychologisches Studienfeld. Die anonymen schwarzen Reiter betreiben ihr Geschäft mit einer Akribie und Niedertracht, die vor 31 Jahren zum „ Helden der DDR “ gereicht hätte. Da werden Zweit-, Dritt- und Viertprofile angelegt, „gute Freunde“ fungieren als Zuträger aus geschlossenen Gruppen heraus, da werden Screenshots gemacht und hin- und her versendet, wo man sich doch als hoffentlich geistig gesunder Mensch fragt: Was machen die Typen beruflich? Sind das Rentner, sind das Studenten oder Hausfrauen, die mit ihrer doch so kurzen Lebenszeit nichts Besseres anzufangen wissen? Denen man am Liebsten zurufen würde: Go out and get a life? Aber das Leben der Anderen scheint da irgendwie viel interessanter zu sein. Vielleicht ist es auch die Sehnsucht, den Enkeln auf die Frage „Wie hast Du die Nazis und Klimaleugner damals verhindert?“ mit Schmackes „ich habe sie bei Facebook verpfiffen und strafbewehrte Unterlassungserklärungen verschicken lassen, dass die Schwarte gekracht hat“ antworten zu können. Ich weiß es nicht, ich bin kein Psychologe und auch nicht für die Befindlichkeiten anderer zuständig. Gelegentlich bedaure ich nur, dass die gute alte Sitte des öffentlichen Prangers abgeschafft wurde.
Denn da sind wir bei Möglichkeit 3): Wenn der von Dir entdeckte Klassenrassenmenschenfeind Dich einen Deppen genannt hat – nicht einmal persönlich, sondern irgendwo und Dein „Geheimdienst“ und Dein Netzwerk funktionieren - dann gehört sein Hintern Dir. Jetzt wirst Du zum Verklagekasper. Jetzt gibt es erst einmal die allseits beliebte strafbewehrte Unterlassungsklage und die funktioniert sogar risikolos. Denn selbst wenn es zu einem Prozess kommt, weil das Gegenüber doch gerne auch hätte, dass mal ein Richter über den „Deppen“ schaut, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Gegenüber verliert – dann trägt es sowieso die Kosten – oder es gewinnt. Dann zahlt Dir Deinen Teil die Prozesskostenhilfe, wenn Du selbst nichts auf der Naht hast. Die PKH ist eine sehr angenehme Einrichtung, sogar so angenehm, dass sie sich als Geschäftsmodell eignet, denn sie ermöglicht es selbst dem größten Zivilversager, mit Hilfe von Anwälten und Gerichten seine Umgebung zum Nulltarif zu enervieren und ihr einen Maulkorb zu verpassen. Selbst dazu muss der Widerstandskämpfer für eine ihm gerechter werdende Welt nicht einmal vor die Türe – eine Email an einen Anwalt nebst Screenshots genügt. Die Kanzleien sind - im Gegensatz zu den Gerichten – sowieso leer und schon rennt die Lola. Ein, wie ich meine, toller Service des Staates und eine hübsche Freizeitbeschäftigung für alle hehren Hobbyhelden und solche, die es gerne 1933 – 1945 gewesen wären, ganz ohne den Hintern vom PC zu bewegen. Ruhm und Ehre sind nur einen Mausklick entfernt.
Und falls sich die Leser je gefragt haben, warum die Stasi und auch die Gestapo doch so viele freiwilligen Helfer und Mitläufer hatten – eben weil es so einfach war, einer zu werden. Und exakt das ist heute einfacher denn je. So einfach, dass heute jeder seine eigene Stasi sein kann.
Okay, Sie haben es ja nicht anders gewollt. Ab jetzt kriegen Sie lecker Newsletter von mir. Falls Sie das lieber doch nicht wollen - kurze Email genügt.
Verdammt. Irgendetwas ging schief. Daran ist nr die AfD schuld. Bitte nochmal probieren!