Beim Stöbern fand ich folgende kleine Geschichte - aber bei Gott: Sie ist wahr.
So mit sechs-sieben Jahren, da fand ich Tante Anke ziemlich cool.
Das war Anfang der 70er, Tante Anke war 23 Jahre jung, schwarzhaarig, hatte
eine ziemlich verrückt eingerichtete Wohnung und roch immer leicht süßlich,
aber gut, und war so ziemlich das schwarzhaarigste Schaf der Familie.
Sehr viel später erkannte ich den süßlichen Geruch wieder, als vor
meiner mündlichen Prüfung eine Kippe herumging, die bei uns Azubis eine
Viertelstunde später zu einer recht gelassenen und ausgelassenen Stimmung in
der Prüfung führte.
Tante Anke, soviel wusste ich noch, machte beruflich
"irgendwas Soziales" und ich kann mich bis heute nicht restlos des
Verdachts erledigen, dass sie eine sehr persönliche und sehr serviceorientierte
Art von "Altenpflege" im Frankfurter Bahnhofsviertel praktizierte...
Wie auch immer, man hat sich irgendwann mal aus den Augen
verloren, Tante Anke heiratete, ließ sich scheiden und heiratete noch einmal,
einen farblosen Buchhalter, nett, aber unbedeutend und bekam zwei Kinder.
Gelegentlich sah man sich auf größeren Familienfesten, dann war sie mal
ziemlich böse krank und heute sitzen wir auf der Hochzeit meines anderen Neffen
(kein Kind von ihr) zusammen und wie der Zufall es will, sitzt sie neben mir.
"Na, und? Wie geht es Dir?", fragt sie. Danke, es geht
mir gut, das Geschäft läuft flott, meine Kinder sind weder krank noch behämmert
und wir sind gesund. So, wie es sein soll.
"Ist das Dein Auto, der Schwarze da draußen?" Ja, ist
es. "Ganz schön protzig" findet sie.
Und hätte ich gewusst, wie sich dieses Gespräch weiter entwickelt
und wäre ich vielleicht auch etwas intelligenter und diplomatischer, dann hätte
ich mich jetzt dafür entschuldigt und mich woanders hingesetzt. Aber ich habe
es verbockt, für mich war Tante Anke immer cool.
Stattdessen antworte ich Idiot: "Mag sein. Aber ich kann´s
mir leisten".
Ich hätte jetzt gedacht, Anke lacht, weil sie mich ja immerhin
seit ein paarundvierzig Jahren mehr oder weniger kennt.
Falsch gedacht.
"Ziemlich arrogant", sagt sie. Und "wegen Leuten wie
Dir stirbt die Ozonschicht!" sagt sie auch.
Ganz offen gesagt hat mein Diesel einen Rußpartikelfilter neuester
Bauart, während ihr abgefuckter 3er Golf bestenfalls einen nicht
funktionierenden Katalysator hat. Und ich sage Ihr das mit dem
Rußpartikelfilter, den Teil mit dem abgefuckten Golf lasse ich weg.
"Ich bräuchte so ein großes Auto nicht, um glücklich zu
sein", reibt sie mir als Antwort unter die Nase.
Alter Verwalter.
Ich brauche das verdammte Auto auch nicht, um glücklich zu sein,
aber ich finde es geil, die Karre zu haben und außerdem ist es mir scheißegal,
was Tante Anke braucht, um glücklich zu sein.
"Dir gehört es ja auch nicht", gebe ich immer noch
freundlich zurück und stelle voll Entsetzen fest, dass ich mich mit "es
ist halt einfach schön, mit dem Teil in den Urlaub zu fahren, weil wir da eben
Platz für die Familie haben" zu allem Überfluss auch noch rechtfertige.
"Ach Ausreden", putzt sie mich ab, "was muss man denn
überhaupt mit dem Auto in den Urlaub fahren? Das geht auch mit der Bahn und ICH
kann es mir auch zu Hause gemütlich machen. Dazu brauche ich nicht weg."
Aha.
Doch, ich muss im Urlaub weg, um die Tante Ankes dieser Welt
hinter mir zu lassen, aber das kann ich nicht sagen, weil es doch eine
Familienfeier und alles so schön harmonisch ist und Tante Anke doch mal so eine
coole Sau war.
Stattdessen sage ich entschuldigend: "Naja, wir fahren ja
nicht sooo weit, mal in die Berge oder an die Ostsee..."
"Ostsee?", unterbricht sie mich, "was will man denn DA? Da ist
doch nichts."
Mittlerweile habe ich mein drittes Glas Wein hinter mir. Ich bin
ein paarundvierzig Jahre alt, habe keine Drogen genommen und nicht meine Mumu
jubeln lassen. Ich habe einen guten Job, ein nettes Geschäft mit netten
Mitarbeitern, Einnahmen, die deutlich über der Beitragsbemessungsgrenze liegen
und absolut keine Lust und keinen Bedarf, mich von einer Ex-Dope-Nutte mit
Haarausfall und einem verpfuschten Leben belehren zu lassen. Zumal sie die
Ostsee ja wohl nur von der heimischen Couch aus kennt, weil sie da ja so glücklich
ist, die dumme Nuss.
"Doch", sage ich, "da ist es sehr schön. Rostock zum
Beispiel, ein wunderschönes Hafenstädtchen..." "...voller
Neonazis", packt sie dazu.
Ja klar. Ich fahre mit der Familie nach Rostock wegen der
Neonazis, die ich da besichtigen kann, Du dämliche Flanschkuh.
"Nein, im Ernst. Uns gefällt es da. Und ich habe da auch noch
keine Neonazis gesehen." "Ja, weil Du nicht mit offenen Augen durch
die Welt gehst. Aber naja, wenn Du meinst, ich brauch das nicht."
Nein, Tante Anke braucht eigentlich einen kräftigen Schlag auf den
Hinterkopf, denke ich mir und nehme die Weine Nummer Fünf und Sechs in Angriff.
"Du hast auch ganz schön zugelegt", teilt sie mir
zusammenhanglos mit.
Ja, habe ich, deswegen habe ich im Gesicht auch nur halb so viel
Falten wie sie an ihrem runzligen Arsch, aber ich darf das nicht sagen und muss
nett sein. Ich halte einfach die Klappe und kippe Wein Nummer sieben. Und acht.
Aber Tante Anke lässt nicht locker.
"Zuviel Essen ist ungesund und Du kannst davon krank werden.
Herzkrankheiten, Gefäßkrankheiten, Herzinfarkt..."
...und ich höre mich mit schwerer Zunge sagen: "ich bin hier
bei einer Hochzeit und nicht auf einem medizinischen Symposium. Und ich frage
mich, wie scheiße eigentlich ein Leben gelaufen sein muss, das einen Menschen
dazu bringt, andere permanent zu bewerten, zu belehren, zu beschnuddeln und zu
bevormunden. Du warst einmal eine hübsche junge Frau und ich fand Dich schon
mit sieben sexy und heiß und total cool. Es mag sein, dass Dir das Leben nichts
geschenkt hat, aber Du hast dem Leben auch nichts geschenkt und ihr seid quitt,
Du und das Leben. Du bist heute nur noch eine vertrocknete alte Kuh, voller
Bitterkeit und Neid auf andere, die sowohl die Kontrolle über ihre
Geschlechtsteile als auch über ihr Leben hatten. Es ist mir sowas von völlig
scheißegal, ob Du auf Deiner 80er-Jahre-Couch die glücklichste
Fernsehzuschauerin der Welt bist und es ist mir Wurstregal, ob Dir mein Auto
oder meine Urlaubsziele gefallen. Du bist der erste Mensch, den ich persönlich
kenne, der zwar schon tot, aber noch nicht beerdigt ist. Was ist los mit Dir?
Wann hast Du beim Rettungsring dicht daneben gegriffen?"
Sie schaut mich entsetzt an: "Du bist betrunken".
"Mag sein - aber ich habe Dich nie nüchterner gesehen", gebe ich zurück.
Sie springt auf, schnappt sich ihre Handtasche und verschwindet
auf der Toilette. Ich nutze die Gelegenheit, packe Frau und Kinder zusammen,
murmle dem Hochzeitspaar eine fadenscheinige Entschuldigung zu und haue in
meinem protzigen rußpartikelgefilterten Ostseetaxi ab.
Ich wurde viel später gefragt, was ich eigentlich zu Tante Anke
gesagt hätte, weil sie auf dem Klo unheimlich geheult hätte und mich dann als
"blödes Arschloch" bezeichnet hätte.
Ich habe dann die Schultern gezuckt und gesagt: "Ich weiß es
nicht mehr, aber ich schätze, es war die Wahrheit".
Okay, Sie haben es ja nicht anders gewollt. Ab jetzt kriegen Sie lecker Newsletter von mir. Falls Sie das lieber doch nicht wollen - kurze Email genügt.
Verdammt. Irgendetwas ging schief. Daran ist nr die AfD schuld. Bitte nochmal probieren!