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Pickelnazi

Thilo Schneider • 4. Februar 2020

...wenn aus Merkmalen Merkwürdigkeiten werden...

Bild von skeeze auf Pixabay
Ich persönlich betrachte mich ja als ganz normalen Menschen. Also, so als Durchschnitt. Obwohl ich, wie man verharmlosend sagen würde, „etwas moppelig“ bin. Ich habe knapp 100 Kilo. Also eigentlich würde ich über mich sagen, ich bin fett. Ich esse gerne, reichlich und meistens, aber nicht immer, gut. Wäre ich eine Packung Chips oder Salzstängelchen, wäre ich nicht sehr gerne alleine mit mir in einem Raum. Dafür trinke ich so gut wie keinen Alkohol, ich kriege von dem Kram Sodbrennen. Zumindest bei Weißwein. Aber wer trinkt den schon. So etwas schenkt man weiter an Leute, die davon auch Sodbrennen bekommen. Aber ansonsten bin ich eher Durchschnitt.

„Durchschnitt“ meine ich dabei nicht negativ. Ich bin so, wie andere Menschen auch und „wenn Ihr mich kitzelt, dann blute ich“ oder so ähnlich. Mir fallen, genau wie anderen Menschen, körperliche Merkmale nun einmal auf. Neulich beispielsweise waren wir mit Silke verabredet, weil Silke eine neue Freundin hat, die sie uns gerne würde vorstellen wollen können dürfen. Sie sang ein Loblied auf ihre Holdigkeit, ihren Esprit, ihren Charme, ihre Intelligenz, ihren Esprit, ihren Witz und ihren Humor. Und weil der Schatz und ich gerne neue Leute kennenlernen, erst recht, wenn sie die neuen Leute unserer alten Freundin sind, verabreden wir uns zum Vorstellungsgespräch. Und dann sitzen wir, ausnahmsweise sogar einmal vor dem eigentlichen Termin, im „Chez Louis“, der in Wirklichkeit Bernd Feinbein heißt und erwarten gespannt Silke und ihre neue Partnerin. In unserem Alter hat das Vorstellen eines neuen Partners immer so etwas wie „erster Besuch bei den Eltern“. Man ist sich unsicher, weiß nicht, wer da zur Türe hereinkommt und möchte einen guten Eindruck machen. Es dauert auch nicht lange und Silke kommt mit einem winterlichen Atemwölkchen und Dorothee zur Türe herein und mich trifft fast der Schlag.

Am Kinn von Dorothee prangt ein riesiger Pickel.

Er sitzt unten links, unter dem linken Mundwinkel, etwa einen halben Zentimeter über dem Kinn. Ein wahres Prachtstück von einem Pickel. Ein großer roter kreisrunder Hügel, dessen Gipfel schneebedeckt ist. Wie ein sibirischer Vulkan vor dem Ausbruch. Nur mit umgekehrten Farben. In meiner Wahrnehmung leuchtet über dem Berg ein Schild in blinkender Neon-Schrift: „Drück mich aus! Drück mich aus!“ 

Dorothee ist total nett, lächelt, gibt dem Schatz und mir artig die Hand, stellt sich vor und ich brummele irgendetwas. Ich kann den Blick nicht von ihr lassen. Vielmehr von ihrem Kinn. Silke erzählt begeistert, wie sie Dorothees Pickel kennengelernt hat, jahaa, und ich starre nur auf diese eine Stelle in Dorothees Gesicht. Ich meine, Dorothee hat doch sicher einen Spiegel zu Hause, die Dinger wachsen ja nicht innerhalb von 10 Minuten, das dauert ja, so etwas sieht man ja im wahrsten Sinne des Wortes kommen. Erst recht so ein Prachtstück. Der wiegt ja auch was. Ich meine, wenn ich schon nicht beherzt an dem Teil herumdrücke, dann nehme ich doch einen Abdeckstift, „natürliches Aussehen“ hin oder her. Schlimmstenfalls kann man da doch ein Pflaster drüberkleben oder einen Helm mit einer Kinnsicherung tragen. Oder einen Schal. Oder eine Gasmaske. Es ist ja Winter! Sieht dann doch keiner.

Dorothee erzählt, was sie beruflich macht, sehr interessant, jaja, aber ich kann nicht anders. Der Pickel fasziniert mich. Es wäre natürlich höchst übergriffig, würde ich über den Tisch greifen und mir den Teufelskerl einfach packen. Ich bin Brillenträger, ich könnte das gefahrlos tun, ohne mir ein Auge auszuschießen. Es wäre ein kurzer, heftiger Griff, Dorothee könnte gar nicht so schnell weg, wie ich das Sauvieh geknackt hätte und ich hätte meine seelische Ruhe. Aber da geht ja nicht. So etwas macht man ja nicht. Da: Hat der nicht eben sogar pulsiert? Ich könnte schwören, etwas hat sich darin bewegt, in dem Pickel. An Dorothees Kinn. 

Dorothee erzählt, wie das so ist, jetzt in der Beziehung mit Silke und ich meine, das hat man ja schon gelesen: Da werden Leute nachts von einer Spinne gebissen oder einem Käfer und die legen dann die Eier unter die Haut und da wächst dann die Larve und eines schönen Tages, wenn die Larve entwickelt ist, bricht sie dann aus und läuft dann an Dorothees Kinn herunter, über den Hals in die Bluse und weiß Gott, was dann passiert. Vielleicht hat das Dorothee gar nicht bemerkt und ist in Wahrheit Wirtsträgerin eines außerirdischen Parasiten und alles, was ich tun müsste, um die Erde vor einer Invasion durch Reptiloiden zu retten, wäre, kurz über den Tisch zu springen und sozusagen reines Kinn zu machen. 

Schließlich kann ich nicht mehr an mich halten und sage: „Dorothee, Du hast da was am Kinn…“. Silke kichert. „Tatsächlich ja, einen Sahnefleck von der Schokolade, die Du eben getrunken hast“, bemerkt sie liebevoll und wischt Dorothee zärtlich den Sahnekleks weg und wir erinnern uns alle lachend an die Kindheit. Wie wir das unisono gehasst haben, wenn die Omi kurz auf das Taschentuch gespuckt und uns einen Fleck im Gesicht entfernt hat. Hihi. Der Pickel ist noch da und grinst.

Ich weiß ja, dass Liebe blind macht, aber dass sie so blind macht, dass man einen leuchtturmartigen Pickel nicht sieht und dann „Schatz, Du hast einen leuchtturmartigen Pickel am Kinn, der wie eine Vorbereitung auf eine Erdinvasion aussieht“ sagt, das will mir nicht in den Kopf. Ich meine, wenn Dorokinn schon den Watz nicht sieht, dann hätte doch wenigstens Silke mal irgendetwas sagen können. Hat sie ja vielleicht auch, ich weiß es ja nicht und Dorothee sagte mit einer tiefen Roboterstimme „ist mir egal, Erdling, das hat schon seine Richtigkeit“ und Silke hat es dann gelassen, keine Ahnung, es ist ja auch nur ein Pickel, ein RIESENDING, ein Pickel mit dem Gesicht von Dorothee hintendran und egal, wie alt ich werden werde und wie wahrscheinlich ich Dorothee vergessen werde, dieses Prachtstück, diesen Prototypen eines völlig formvollendeten Pickels werde ich nie vergessen. 

Später dann wird mir der Schatz Vorhaltungen machen, dass ich mich völlig ungehörig benommen hätte. Ich hätte kaum etwas gesagt und Dorothee andauernd angestarrt und Silke sei der Meinung, dass das nur daran liege, dass Dorothee lesbisch und schwarz wäre und ob ich ein heimlicher Rassist wäre, Dorothee könne ja auch nichts für ihre Hautfarbe und falls wir Dorothee überhaupt noch einmal je zu Gesicht bekämen, dann solle ich mich gefälligst mal locker machen, das wäre sehr peinlich gewesen. Und das werde ich bestimmt auch. Wenn sie bis dahin den verdammten Pickel los ist. Dann kann sie meinetwegen auch Cis-gender-female-reverse-and-back-and-forth und grün, gelb oder blau sein. Aber mir fällt halt sowas auf. Ich kann nichts dafür. Ich bin ein Pickelnazi. 

von Thilo Schneider 12. Januar 2024
„Guten Abend, liebe Zuschauer! Zu unserem heutigen Thema „Wann ist man ein Nazi“ habe ich heute einen absoluten Experten auf diesem Gebiet eingeladen: Werner Strößenbrunner!“ (Applaus, der Experte im grauen Anzug mit einem schwarz-weiß-roten Ansteckerchen betritt die Bühne) „Guten Abend, Herr Strößenbrunner…“ „Obersturmbannführer Strößenbrunner bitte. Aber nennen Sie mich einfach Obersturmbannführer.“ „Danke, Herr Obersturmbannführer. Schön, dass Sie heute unter Gast sind.“ „Ja gerne und ein herzliches Heil! Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ „Herr Obersturmbannführer, ich darf Sie unserem Publikum kurz vorstellen: Vorstrafe wegen des Schmierens von Hakenkreuzen auf Synagogen, gewalttätiger Übergriff auf den Wirt eines israelischen Restaurants, Vorsitzender des Vereins „Blut und Boden“, Vorsitzender der Jugendorganisation „Reichskriegsflagge“ und Verfasser des Buchs „Vorschläge zur vorläufigen Erledigung der Remigration“. Herr Obersturmbannführer, würden Sie sagen, Sie sind ein Rechtsextremist?“ „Ach wissen Sie, was heißt denn Rechtsextremist? Heutzutage wird man viel zu schnell von den öffentlich-rechtlichen, von Soros und Rothschild finanzierten Systemmedien in die rechte Ecke geschoben. Ich würde mich als konservativen Patrioten bezeichnen.“ „Naja, das Schmieren von Hakenkreuzen ist kein Kavaliersdelikt…“ „Da war ich 17 Jahre alt. Eine bedauerliche Jugendsünde. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie das war. Ich war da in der Ausbildung zum Landschaftsmaler, das war damals so, und sollte Farbe von A nach B bringen und da war diese Synagoge und ich stand so da und plötzlich waren da mehrere Hakenkreuze drauf. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie das passieren konnte und es tut mir auch leid…“ „Die Hakenkreuze tun Ihnen leid?“ „Nein, es tut mir leid, dass ich nicht mehr Farbe dabeihatte. Ich wollte neue holen, aber da waren die Schergen der linksunterwanderten BeErDe bereits da und haben mich verhaftet. Obwohl ich gar nichts dazu konnte.“ „…und die Körperverletzung…?“ „Ach, ganz normale Wirtshausschlägerei, wie sie bei jedem Dorffest stattfindet…“ „…das war keine gezielte Attacke auf den jüdischen Besitzer?“ (seufzt) „…er wollte uns hindern, unsere Brandsätze zu zünden. Was hätten Sie denn in meiner Situation getan? Natürlich habe ich ihm auf die Menora gegeben, das war aber mehr so ein Reflex, so aus der Drehung heraus. Das wurde damals von der ostküstenfinanzierten Lokalpresse schrecklich aufgebauscht…“ „Sie müssen aber schon zugeben, dass das ein wenig den Eindruck erweckt, als hätten Sie etwas gegen Juden…“ „Was? Nein! Ich habe gar nichts gegen Juden, da sind ja schon die ursprünglich von den Nazis verschärften Waffengesetze außen vor!“ „Würden Sie, Herr Obersturmbannführer, sagen, dass Sie Antisemit sind?“ „Nur, weil ich keine Juden mag? Das wird ja wohl noch erlaubt sein!“ „Aber es sind ja nicht nur Juden, um die es Ihnen geht?“ "Ich habe ein generelles Problem mit Volk, das nicht hierhergehört! Und nicht nur ich! Sehen Sie sich doch um! Die ganzen Schleiereulen, die Kopftuchstaffeln, die stark pigmentierten Menschen, das ist doch nicht mehr schön? Da muss man doch etwas tun! Gegen diese Umvolkung muss sich doch ein rassisch gesundes Volk bis zur letzten Patrone mit fanatischem Widerstand durchsetzen!“ „Das ist ein gutes Stichwort! In Ihrem Buch zur Remigration schlagen Sie beispielsweise vor, dass Bürger mit deutschem Pass, deren Ahnenreihe nicht wenigstens vier Generationen zurückreicht, die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, wenn sie einen zweiten Pass haben.“ „Ja, da muss man sich eben mal entscheiden, ob man deutsche Sozialleistungen oder türkischen Wehrdienst und Erben genießen will. Sie haben ja auch keine zwei Frauen, sondern müssen sich für eine entscheiden. Wenn Sie jetzt nicht gerade aus dem Nahen Osten kommen.“ „Wäre das aber nicht ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz?“ „Ach, das kann man mit 2/3-Mehrheit ändern, da sehe ich jetzt kein so großes Problem.“ „Außerdem schreiben Sie, dass Sie straffällig gewordene Bürger entweder nach Möglichkeit abschieben oder zu körperlicher Arbeit verpflichten wollen!“ „Ja, ich halte das für eine gute Lösung! Wir kaufen den Marokkanern, Tunesiern oder Libyern ein Gelände in der Wüste ab und da packen wir das ganze Kroppzeug hin. Da können sie dann den ganzen Tag Sandsäcke füllen, was wiederum den Opfern in unseren Hochwassergebieten zugutekäme.“ „Auch das wäre aber nicht nur ein Verfassungsbruch, sondern sogar ein ethischer Dammbruch. Obersturmbannführer, klare Frage, klare Auskunft: Sind Sie für ethnische Säuberungen in Deutschland?“ „Ach, „ethnische Säuberungen“, das ist auch nur wieder so eine Hohlphrase aus der linken Ecke, um patriotische Deutsche zu framen und zu verunglimpfen. Ich will hier einfach nicht so viele Westasiaten haben. Ein paar sind ja in Ordnung und machen im Niedriglohnsektor einen ganz guten Job, einer muss ja das Essen an den Tisch bringen und Opa mal im Pflegeheim umdrehen, aber das heißt doch bitte nicht, dass hier gleich eine Umvolkung stattfinden muss…“ „Auch das war aber jetzt bereits rassistisch!“ „Ach, was heißt denn „rassistisch“? Ich sag doch nur, wie es ist und wie es die Mehrzahl der Bevölkerung sieht!“ „Glauben Sie, die Mehrheit sieht das so?“ „Wenn wir erst einmal die Mainstream-Medien übernommen haben, dann werden die das so sehen, mein Wort darauf!“ „Sie planen also so eine Art „Machtergreifung“? „Auch wieder so ein Wort aus der linksradikalen Mottenkiste. Wir reden davon, wie wir die politischen Verhältnisse in Deutschland im Sinne des deutschen Volkes neu ordnen können.“ „Ist es korrekt, dass Sie in Ihrer Funktion auch Gespräche mit den Spitzen der AfD führen?“ „Das sind nur private Gespräche, ganz locker und ohne jeden Hintergrund, man kennt sich doch, da sehe ich jetzt kein Problem. Die denken ja im Grunde wie wir, trauen sich nur nicht, das laut zu sagen, aber man wird ja wohl noch auf ein Bier gehen dürfen! Das wird alles viel zu hoch aufgehenkt.“ „Herr Obersturmbannführer, was wäre denn für jemanden wie Sie ein Nazi?“ „Das wäre jemand, der zwischen 1890 und 1930 geboren ist und Mitglied bei der NSDAP war. Das wäre ein Nazi.“ „War Hitler ein Nazi?“ „Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann, er war zwar Mitglied der Partei, aber er hat ja auch die Autobahnen gebaut, die Kirchensteuer eingeführt und die Schreibschrift reformiert, das darf man nicht vergessen!“ „…und was wäre für Sie ein Rechtsextremist?“ „Das wäre jemand, der Leute in Gaskammern schicken oder vernichten will und dazu auch noch Nachbarländer überfällt. Das ist ja nicht das, was wir wollen! Aufgrund der Demographie brauchen wir kein neues Land im Osten. Da müssen wir erst einmal hier wieder auffüllen.“ „Herr Obersturmbannführer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Guten Abend.“ „Heil!“
Deutende Punkerin. Bild von Wolfgang Eckert auf Pixabay.
von Thilo Schneider 15. Juli 2023
Ich wurde als Hetzer, Rechtspopulist und Rassist bezeichnet. Wenigstens ein Punkt stimmt.
Bild eines Gitarristen von Pexels auf Pixabay
von Thilo Schneider 25. Juni 2023
Kleinkünstler sollten besser links sein - wenn sie Auftritte mit Freibier haben wollen. Und sie sollten einen albernen Hut oder Pferdeschwanz haben! Und im Leben den Rettungsring daneben gegriffen haben.
Polizeikontrolle, mit Spielzeugautos nachgestellt
von Thilo Schneider 30. Mai 2023
Eine Polizeidozentin, eine Polizeikontrolle, ein "nicht so gemeinter Tweet", ein Drama in einem Akt.
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