Wem es so gut geht, dass er gerne einmal in menschliche Abgründe schauen möchte, der kann entweder einen Parteitag der Grünen besuchen, wer es gerne noch eine Stufe härter mag (doch, das geht), der ist bei einer Kulturbörse an der richtigen Adresse.
Es gibt wenige Orte in der Welt, an denen sich Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs freiwillig selbst versammeln, um mit schlechter Laune gute Laune zu verbreiten. Es gibt hier jede Menge „habe-ich-schon-zehn-Mal-gesehen“ Artisten und einen handfesten Packen „Comedians“, die in der Masse so lustig wie ein Abend mit Ralf Stegner sind. Außerdem stolpert ein veritabler Haufen von offensichtlichen Psychopathen durch die Kulissen, die „mal was anderes“ machen wollen und sich daher in Zellophan hüllen oder öffentlich ein Huhn schlachten oder Barbie-Puppen grillen, weil darauf die Welt bestimmt gewartet hat.
Daneben bieten Künstleragenturen von Heute Stars von Gestern an, die 1999 den zweiten Preis für das „Schönste Schaf des bayerischen Hasenzuchtverbandes“ gewonnen und schon einmal Werbung für Hämorrhoidensalbe gemacht haben, abgehalfterte Künstler, die für eine einzige Sendung zwischen Rudi Carrell und Bernd Stelter sitzen durften oder witzeerzählende Busfahrer, die seit zehn Jahren bereits bei Möbelhauseinweihungen versagen. Die ganze Blase kennt sich bereits seit Urzeiten, weil sie alle schonmal irgendwas irgendwie mit Dieter Dembrowski gemacht haben, der auch wie ein Altvater irgendwo auf der Messe umhergeistert und seine ARD-Apanagen mit faden Merkel-Witzchen bereits verdient hat. Er kann es halt, der Dembrowski. Und hatte einmal im Leben das Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein, alle anderen haben den öffentlich-rechtlichen Rettungsring aus der Armut leider daneben gefasst.
Bussi hier und Bussi da, allen geht es super und sie lächeln sich an und feiern sich, drehen sich herum und erzählen von den größten Pleiten und Niederlagen. Also die der Person, die sie eben noch so nett angelächelt haben. Es gibt wahrscheinlich, bis auf Zahnarztkongresse, keine Versammlung von Menschen, die sich einander so glücklich die Zähne zeigen und sich eigentlich lieber ins Gesicht spucken würden wie auf einer Kulturmesse und ich glaube, das Wort „Neid“ wurde extra für solche Messen erfunden.
„Hallo, wir sind vom Kulturverein Äpplershausen, wir suchen nach einem lustigen Künstler für unseren Seniorennachmittag im Oktober“, erzählt die Frau am Stand. „Ja, da sind sie hier richtig“, sagt der weltberühmte Künstler, „ich spiele auf 500,- € Mindestgarantie am Abend“. „Oh“, sagt die Veranstalterin, „und zahlen Sie die per Scheck oder Überweisung?“
Natürlich ist eine lebenslange Kluft zwischen dem Eigen- und dem Fremdbild irgendwann nicht mehr richtig gesund und es klafft ein tiefer, unüberbrückbarer Spalt zwischen dem, was die Veranstalter gerne hätten und dem, was die Künstler suchen. Die Veranstalter haben am liebsten Künstler, die bereits einen Namen haben, aber für kleines Geld spielen wollen. Die Künstler hätten gerne einen Namen, wozu sie aber (am besten gut bezahlte) Auftritte brauchen. Du kriegst keinen Job ohne Wohnadresse, aber nur eine Wohnung, wenn Du einen Job nachweisen kannst. Ein Teufelskreis mit Teufelsgreisen, der eigentlich nur der Psychopharmaka-Industrie nutzt.
Die selbstreferentielle Blase trifft sich zwischendurch am wichtigsten Stand, das ist der, an dem es das kostenlose Bier gibt. Angeführt von den Künstlern, die soeben ihren Urlaub in der Entzugsklinik verbracht hat, tauschen sich hier die Eleven über Erfolge von Gestern aus, die nur deswegen Erfolge waren, weil sie erlogen sind. Aber es ist schön, sich gegenseitig auf die hängenden Schultern und Köpfe zu klopfen und zu wissen: Die berühmte Ex-Schauspielerin wird nachher so blau sein, dass sie die Tränensäcke des Typen vor ihr später mit seinen Hoden verwechseln wird.
Am Hübschesten sind aber die Stunden nach der Messe, wenn die mühsam aufgesetzten Masken fallen und die Falten sichtbar werden. Dieter Dembrowski ist auch ganz schön alt geworden und außerdem hat ihn seine Frau ironischerweise für eine andere Frau verlassen und darüber hinaus hat er Insolvenz angemeldet. Uschi Klöbner hat ihre besten Zeiten weiter hinter sich als der Mars-Rover die Erde und ihr Hals wirft mehr Falten als der San Andreas-Graben. Ingeborg Jansen hat gelogen, die hat nie mit Dieter Dembrowski gedreht und die Kinder, die sie hat, sind gar nicht von ihr, die hat die nämlich aus Rumänien im- und adoptiert, die Ehefrau von Peter Pansen hatte nie Schauspielunterricht und die goldene Schallplatte im Flur ist gar nicht von ihr, sondern von ihrem Vater, der eine Fabrik zur Herstellung von goldenen Schallplatten hatte.
Es ist geradezu ein Panoptikum des Grauens, der Psychosen und Neurosen derer, die entweder von einer unbarmherzigen Unterhaltungsmaschinerie ausgespuckt wurden oder es nie geschafft haben, überhaupt von der Maschinerie eingesogen zu werden. Einige hatten mal wirklich gute Ideen, andere haben nur immer abgeschrieben, und die dritte Gruppe hat nie etwas anders außer „sei Du selbst“ gelernt und definiert sich über seine sexuelle Gruppenzugehörigkeit oder das Fortnite-Level.
Alle haben sich durch die Bank bis zur Schmerz- und Altersgrenze prostituiert und wurden letztlich um ihren Lohn betrogen. Alle sind lustig und plaudern charmant und schlucken Prozac wie Smarties, um nicht heulend in der Ecke zu sitzen.
Nein, da bin ich wirklich dankbar, einen richtigen Beruf gelernt zu haben, der mich ernährt und mich nicht zwingt, zu Leuten nett zu sein, die ich nicht leiden kann. Und deswegen kann ich es mir auch leisten, mir meine Auftritte und meine Gagen selbst auszusuchen. Ich bin nicht darauf angewiesen. Es bettelt nur der, der nichts kann.