Wir sind gerade gemütlich am Frühstücken, als es an der Türe klingelt. Einer der beinharten Jungs von der DHL begehrt Einlass, alldieweil er gerne ein Paket zustellen möchte. Ich öffne mit dem Drücker die Haustüre und habe jetzt drei Stockwerke Zeit, festzustellen, warum mich die DHL beim Frühstück stört. „Hast Du ein Paket bestellt?“, will ich vom Schatz wissen. Der strahlt mich an wie ein Kernkraftwerk: „Japp! Da war so eine Sonder…“, und weiter kommt er nicht, da ich aufspringe und mir die Einweg-Gummihandschuhe aus der Box auf dem Schuhschrank im Flur anziehe. „Oh, Dein Ernst?“, höre ich den Schatz aus dem Wohnzimmer leicht verärgert rufen. „Ja! Ich weiß ja nicht, wo der Mann vorher war“, rufe ich zurück und öffne die Wohnungstüre.
Etwa auf der Hälfte der Treppe zu unserem Stockwerk steht der DHL-Mann und fragt mich, ob ich meine Frau sei. Ich versichere, der Mann meiner Frau zu sein, während der Kopf vom Schatz hinter mir auftaucht. Der DHL-Bote lächelt erleichtert und will die paar Stufen noch bis zur Wohnungstüre laufen. „Stop!“, rufe ich ihm zu, „aber Sie legen jetzt das Paket vorsichtig auf die letzte Stufe und Ihr Quittiergerät legen Sie drauf. Dann gehen Sie zwei Meter zurück!“, weise ich ihn an. „Sind Sie krank?“, will der Paketauslieferer wissen. „Nein, aber Sie vielleicht. Nun machen Sie schon!“, rufe ich ihm zu und er handelt, wie ihm geheißen. Vorsichtig nähere ich mich dem Paket, nehme das Quittiergerät auf, unterschreibe mit diesem Plastikstiftchen für den Empfang, lege das Gerät neben das Paket, nehme jenes auf und ziehe mich rückwärts zur Wohnungstüre zurück. Immer den Paketboten im Auge behaltend. „Er übertreibt immer so“, erläutert der Schatz aus dem Hintergrund. „Sicher ist sicher“, ergänze ich und muss husten, während der irritierte Mann sein Gerätchen aufnimmt, um dann panisch nach unten zu rennen.
„Schnell, leg eine Plastikfolie auf den freien Platz am Esstisch“, befehle ich der Jüngsten, die kurz verschwindet, um dann mit Backpapier wieder aufzutauchen. „Geht das auch?“ fragt sie und als ich bejahe, legt sie das freie Tischende aus. Vorsichtig deponiere ich das Paket auf der Unterlage. Der Schatz war währenddessen auch nicht faul und hat eine Schere organisiert, mit der er sich der kleinen Pappbox nähert. „Was wird das?“, will ich wissen. „Wonach sieht es aus?“, stellt der Schatz die Gegenfrage. „Du wirst das Paket jedenfalls jetzt noch nicht öffnen!“, stelle ich fest, „wir haben keine Ahnung, wer das Paket schon alles in den Fingern gehabt hat, angefangen bei dem DHL-Fahrer und endend bei dem, der die Ware überhaupt erst hergestellt und verpackt hat. Wir können nicht mit letzter Sicherheit davon ausgehen, dass dieses Paket nur durch gesunde, virenfreie Hände gegangen ist!“
Sozusagen ein virenverseuchtes Danaergeschenk!
„Dafür habe ich ja eine Schere“, sagt der Schatz und wedelt mir mit der Schere überflüssigerweise vor dem Gesicht herum, „damit können wir mit Abstand das Paket öffnen und den Inhalt entnehmen.“ Sie hält sich für sehr schlau. „Wir wissen nicht, ob es sich hier um eine Trojanersendung handelt. Sozusagen ein virenverseuchtes Danaergeschenk!“, erläutere ich, „ich möchte hier kein Risiko eingehen!“ „Trojaner? Ich dachte, die gibt’s nur im Computer“, bemerkt die Jüngste, aber ich habe im Moment andere Probleme, als ihr Geschichtsunterricht und humanistische Aufklärung zukommen zu lassen. Für den Moment muss ihr ein „Lernt Ihr heute in der Schule überhaupt noch etwas“ genügen, was sie mit einem grinsenden „Nein, die sind ja alle geschlossen“ kontert. Wie die Mutter, so die Tochter. Ich habe gleich wenigstens zwei große Klappen zu füttern.
Unschlüssig stehe ich vor der Sendung und kann mich gerade selbst noch daran hindern, mir mit den gummibehandschuhten Fingern nachdenklich übers Kinn zu fahren. „Haben wir Desinfektionsspray?“, frage ich in den Raum. „Ja!“, erwidert der Schatz. „Da in dem Paket, das habe ich nämlich bestellt!“, gibt er mir zusätzlich eine präzise Ortsangabe. „Warum hast Du das Desinfektionsspray nicht einfach in der Drogerie gekauft?“, will ich wissen. „Weil Du Angst hattest, dass ich dann infiziert zurück komme“, erinnert mich der Schatz spöttisch lächelnd.
Okay. Wir haben nun folgendes Problem: In dem Karton befindet sich das Desinfektionsspray, mit dem ich den Karton desinfizieren müsste, bevor ich ihn öffne. Wenn ich aber nun den Karton öffne, ohne ihn desinfiziert zu haben, könnte es sein, dass wir alle erkranken. Dann wäre der Kauf des Desinfektionssprays sinnlos gewesen. Alternativ könnte ich natürlich entweder selbst zur zweihundert Meter entfernten Drogerie gehen (oder jemanden schicken, dessen Leben mir nicht so wichtig wie meines ist), dort Desinfektionsspray kaufen, den Karton desinfizieren, das darin befindliche Desinfektionsspray entnehmen und die Reste dann auf dem Balkon verbrennen. Allerdings hätte ich dann zwei Desinfektionssprays und dann hätten wir das Desinfektionsspray ja gar nicht bestellen müssen, weil wir es dann ja schon in der Drogerie gekauft hätten, und das wäre dann ja auch sinnlos… Es ist ein echtes Dilemma. Etwas ratlos stehe ich vor dem Paket.
Um mich nicht zu blamieren und die Zeit zu überbrücken, bis ich eine Lösung habe, weise ich meine Mitbewohner an, den Raum zu verlassen und mir einen Mundschutz sowie aus dem „Werkzeugschrank“ einen der Plastikmalerkittel zu bringen. Und außerdem ein scharfes Messer. Am besten eines von den Steakme… „Gute Güte, das ist keine Bombe! Du bist doch bescheuert!“, bemerkt der Schatz trocken, schiebt mich zur Seite und haut eine Schneide der Schere in den Karton. Bevor ich reagieren kann, hat der Schatz die Kiste zur Gänze aufgeschnitten, greift beherzt hinein und holt mit der rechten Hand erst ein-, dann noch zwei weitere Flaschen Desinfektionsspray heraus und stellt sie triumphierend auf den Esstisch. „Gesehen? So einfach und schnell geht das“, jubiliert er.