Nach meinem vorletzten Artikel haben viele Leserbriefschreiber der Achse sehr schön herausgearbeitet, was der Unterschied zwischen Liberalismus und Konservasehrtiefismus ist: Für einen Liberalen zählt, wer Du bist, für einen Konservativen, wer Dein Vater ist oder welchen Gott Du anbetest.
Ich könnte diesen Artikel auch auf die Frage zusammendampfen, in welchem Staat wir leben wollen. Bleiben wir kurz exemplarisch bei Sener Sahin, der, glaubt man einschlägigen Quellen, kein Deutscher ist. Er ist vielmehr Bayer. So urbayerisch wie jeder kreuzbeliebige Josef Hinterhuber aus dem Höllenthal. Daher ist es mir als denkendem Menschen völlig unverständlich, warum es Leute gibt, die so jemanden „wegen seines Glaubens“ ablehnen. Was soll das? Sener Sahin ist kein Paradebeispiel für eine „gelungene Integration“, er ist ein Paradebeispiel für einen Deutschen. Nett, freundlich, engagiert, geachtet, fleißig und er spricht bayerisch.
Was stellen sich die „No Muslim please“-Sänger denn eigentlich vor? Was muss er denn bringen, „der Türk“, bis er als vollwertiger Mitbürger anerkannt ist? Was ist denn von den tatsächlichen Überfremdungsverängstigten gewünscht? Eine öffentliche Taufe auf dem örtlichen Marktplatz? Inklusive Abschwörung und offizieller Vereidigung auf die Bibel? Kirchengeschichtlich dürften sich da sicher Vorlagen finden lassen. Die gleichen Leute, die bereits eine Islamisierung wittern, wenn die Dönerbude am Eck eröffnet und die „mit dem ganzen Islam-ist Frieden-Gequatsche“ zu Recht nichts zu tun haben wollen, werden plötzlich urchristlich und eisenerzkatholisch, wenn ein Bayer moslemischen Glaubens sich um ein öffentliches Amt bewirbt. Oder das Christkind nicht Christine heißt.
Was soll das? Glaubt irgendjemand, Suleyman Öztürk fährt mit dem Dacia in die örtliche Marienkapelle, sobald er ein öffentliches Amt bekleidet?
Wie ticken diese Leute dann in der Praxis? Im täglichen Leben? „Einem türkischstämmigen Fahrkartenkontrolleur zeige ich mein Ticket nicht“? „Vielen Dank für die Beratung, aber ich schließe lieber bei dem Kollegen ab, der nicht Terzi, sondern Schneider heißt“? „Sind Sie deutscher Busfahrer oder sind Ihre Eltern hier in den 70ern angeschwemmt worden“? Wen zur Dschehenna interessiert das? Und warum? Wollte mich jeder in Deutschland schon mehr oder weniger länger hier Lebende Muslim töten: Ich könnte diese Zeilen gar nicht schreiben, das Thema wäre längst durch. In jedem Muslim einen potentiellen Attentäter zu vermuten, ist ein Phänomen, dass dringend nach Quetiapin schreit.
Ebenso, wie ich erwarte, dass es meinem Nachbarn egal ist, ob ich zu Gott, Allah, Krishna oder der heiligen Vulva bete, ist es mir völlig leberwurst, zu welchem Phantasiefreund mein Arzt, Rechtsanwalt, Bürgermeister oder Lehrer meiner Kinder eine innige Beziehung hat, wenn der Flugkapitän, gerne akzentuiert, über die Bordsprechanlage mitteilt, dass die Boeing ärgerliche Probleme mit dem linken Triebwerk hat. Der Irgendwasgläubige vorne im Cockpit soll seinen Job ordentlich machen und das Teil sicher zu Boden bringen, dafür wird er bezahlt und ob er da Freitag in der Moschee kniet oder Fisch isst, hat da für mich eine Relevanz im extrem niedrigen dreistelligen Bereich. Und sollte ich je eine gefährliche Operation haben, werde ich mir garantiert den Arzt mit der höchsten beruflichen Qualifikation und nicht den mit dem frommsten religiösen Engagement suchen. Er soll mir mit seinem Gelumpe nicht auf den Keks gehen, dafür gehe ich ihm nicht mit meinem Gelumpe auf den Keks. „Leben und leben lassen“ nennt man das bei uns in Bayern. Sofern Unterfranken als bayerisch gilt.
Ich erwarte von einem Menschen, der nach Deutschland einwandert, dass er meine Sprache lernt, sich an Recht und Gesetz hält und seine verdammten Steuern zahlt. Und nicht zum Amokläufer wird, weil ich ein Bild seines imaginären Kumpels gemalt habe oder eine Satire geschrieben habe. Natürlich ist das mit „dem Islam“ keine einfache Sache und natürlich haben wir in Deutschland Probleme mit Einwanderern aus archaischen Kulturkreisen, die hier gerne an einer gedeckten Tafel mitessen wollen, zu der sie keinen Brocken trocken Brot beigetragen haben. Natürlich gibt es auch die „WasguckstDus“, die „Ehrverteidiger“ und Surensöhne, deren Abo im „Fitness last, Herumposen first“ vom Steuerzahler alimentiert wird. Und ja: Die müssen ganz dringend und konsequent eingebremst werden – umso wichtiger ist es aber, als Gesellschaft zu zeigen, dass wir herzlich(!) diejenigen bei uns willkommen heißen, die hier nach den hier geltenden Spielregeln ihr Glück machen wollen. Seien wir doch froh über jeden Öztürk und Suleyman, der sich hier als Angestellter oder Selbständiger acht Stunden plus um die Ohren schlägt, weil er seine Familie ernähren und sich ein bisschen Wohlstand leisten will. Genau diese Leute brauchen wir doch. Die Ehrlichen. Die Fleißigen. Die Integrierten und bestenfalls ebenso wie die Koselowskis und Lanzelottis Assimilierten.
Genau denen Knüppel wegen echten Kleinigkeiten zwischen die Beine zu werfen, verschreckt, ist entsetzlich und am Ende – einige Leser müssen jetzt sehr stark sein – rassistisch. Ja, im Koran steht dies und steht das - wie in der Bibel auch. Die Frage ist doch nicht, ob die Religion böse ist, sondern ob und inwiefern ihr Gläubiger sie derart ernst nimmt, dass er sogar dafür bereit ist, zu sterben und sterben zu lassen. Und ja – ich hätte auch kein Problem mit einem Scientologen oder Entlastungszeugen Jehovas an der Spitze einer Gemeinde. Er soll seinen Job ordentlich machen, mehr erwarte ich nicht. Ich sehe mir ja auch Will-Smith-Filme an, Scientology hin oder her. Er ist ein guter Schauspieler. Punkt.
Immer wieder ist ja zu hören, dass sich die moslemischen Einwanderer der dritten und vierten Generation heute konservativer verhalten als ihre Eltern und Großeltern. Das mag sein. Nur: So lange wir in einer Gesellschaft leben, in der bereits Name und Religion über das persönliche Fort- und Weiterkommen entscheiden, sind wir von 1933 sehr viel weniger als 87 Jahre entfernt. Da nimmt es dann auch nicht Wunder, wenn sich die Papiermuslime von uns Wehrmachtsgefreitenenkeln ab - und der ihr näherstehenden Peer-Group zuwenden. Ich kann jemandem nicht virtuell oder sogar real ins Gesicht schlagen und dann erwarten, dass er mich mag. Deswegen wird Ayshe trotzdem nicht mit Kopftuch unterrichten. „Bu bölge, bu kuralla“, wie der Türke sagt. Oder: „Wem es nicht passt, der kann ja gehen“ bedeutet im Umkehrschluss „wem es passt, der kann bleiben“. Eigentlich ganz einfach. Wenn man zuerst den Menschen betrachtet und ihn an seiner Leistung misst. Und das ist es doch, was wir alle hier im Westen auch von anderen erwarten? Genau dann müssen wir das auch vorleben. Das nennt sich übrigens „Humanismus und Aufklärung“, nur mal so am Rande und fast am Ende. Unsere Werte verteidigen wir nicht dadurch, dass wir anderen die ehrliche und interessierte Teilhabe daran verweigern. Das hat sonst böse etwas von „fucking for virginity“.
Ebenso, wie es keine absolute Weltoffenheit gibt, darf es keine absolute Abschottung geben. Sicher ist nicht jeder Zuwanderer ein Steve Jobs – aber bei weitem nicht jeder Deutsche ist auch ein Conrad Röntgen oder Wolfgang von Goethe. Ebenso wenig übrigens, wie jeder Deutsche ein Heydrich ist. Was nicht ausschließt, dass es auch hierzulande die „Dr. Röntgen und Mister Heydrich“ gibt. Wie in jedem anderen Volk übrigens auch. Abgesehen davon ist mir ein arbeitender und fleißiger Osman Öztürk sehr viel lieber als ein Wolf Herrmann, der auf Steuerzahlerkosten Antifa- oder NPD-Fähnchen schwenkt. Da bin ich sehr volksunsolidarisch.
Ja, es ist ganz furchtbar FDP, über den eigenen Horizont hinauszuschauen – aber Offenheit hat uns aus dem Neandertal herausgebracht. In dem allerdings nach wie vor nicht nur viele Muslime im doppelten Wortsinn zurück geblieben sind…