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"Systemrelevante" Berufe

Thilo Schneider • 3. April 2020

Das Pech der Pantomimen 

Bild von David Mark auf Pixabay
Die Begeisterung für Busfahrer und Pflegepersonal kennt derzeit keine Grenzen mehr und ist mittlerweile sogar so groß, dass sich Menschen an Fenster stellen und einfach mal applaudieren. Ja, warum denn auch nicht? Natürlich sind sich weite Teile der Bevölkerung darüber einig, dass die Menschen in nichtakademischen Berufen extrem schlecht bezahlt sind und da doch „endlich mal etwas passieren müsste“. Zumal eben ohne einen Busfahrer kein Bus fährt – wenigstens bis Google und Co so weit mit dem autonomen Fahren sind. 

Bei solch überbordender Freude über die stillen Helden der Alltagstätigkeit und ohne deren Verdienste um die Gesellschaft schmälern zu wollen: Es wird doch gerne vergessen, wie unsere Wirtschaft so funktioniert. Ketzerisch gefragt: Wer braucht schon einen Bankkaufmann oder eine Reiseverkehrskauffrau? Sind eine Boutiquenbesitzerin und ein Friseur wirklich „systemrelevant“? Und wer entscheidet das?

Für die Spargelbauer sind Spargelstecher und -Ernter absolut systemrelevant, mir als Nicht-Spargelesser sind die völlig egal. Dann esse ich eben Kuchen. Meine Reiseverkehrskauffrau ist für mich sehr relevant, da ich mir gerne die Welt ansehe und auch gerne ansatzweise weiß, wo und zu welchem Preis ich die Nächte verbringe. Der Pilot der Maschine, die mich da hinbringt, ist für mich ebenfalls systemrelevant, Lokführer brauche ich keine, ich fahre so gut wie gar nicht mit der Bahn. Von einem egoistischen Standpunkt haben unterschiedliche Berufe also für mich unterschiedliche Relevanzen, abhängig von meinem Lebensstil und meinen Präferenzen. Ich brauche kein Nagelstudio, ich kann mir die Finger- und Fußnägel selbst schneiden. Anderen aber ist das so wichtig, dass sie sogar bereit sind, dafür Geld auszugeben, dass ihnen jemand bunte Bilder auf die Haut aufmalt. Wer bin ich, das zu be- und verurteilen?

Sicher ist es für eine funktionierende Sozial- und Solidargemeinschaft wichtig, dass jemand den Müll entsorgt. Sind aber deswegen Anwälte weniger wichtig und eigentlich überbezahlt? Wenn mir morgen ein Bußgeldbescheid über 25.000 Euro ins Haus wegen des Verstoßes gegen irgendein Corona-Gebot ins Haus flattert, glaube ich nicht, dass ich die Lösung meines Problems mit der Busfahrerin draußen oder dem Mundschutznäher des Krankenhauses besprechen sollte. Da halte ich einen Rechtanwalt doch für sinnvoller. Und was ist mit dem Kraftwerksmeister, der dafür sorgt, dass ich beim Druck auf den Lichtschalter auch Licht bekomme? 

Gut, ich könnte auch auf Kerzen umsteigen – nur brauche ich dazu eine Firma und einen Arbeiter, der Kerzen produziert. Und einen Lohnbuchhalter. Und einen Einkäufer. Und einen Bankkaufmann, der den Kredit zum Kauf des Materials vorschießt. Die gleichen Lohnbuchhalter und Einkäufer sitzen auch in den Krankenhäusern und in der Supermarktverwaltung und sehen zu, dass das beklatschte Personal auch bezahlt wird. Sind die also jetzt weniger wichtig als die Pflegerin oder der Pfleger „am Mann/an der Frau“? Warum aber bekommt der Kerzenzieher weniger Gehalt als der Lohnbuchhalter? Ich vermute, dass es daran liegt, dass der Lohnbuchhalter spezialisierter als der Kerzenzieher arbeitet. Dass der Lohnbuchhalter eine zeitintensivere Ausbildung genossen hat als der Kerzenzieher. Da ein Rechtsanwalt noch mehr Zeit in seine Ausbildung als der Lohnbuchhalter gesteckt hat, verdient er sogar noch mehr – wenn er denn genug Klienten hat. 

Nehmen wir den Busfahrer, der tapfer potenziell tödlich kranke Fahrgäste befördert: Ohne den Arbeiter am Fließband, der den Bus gebastelt hat und ohne die Mechatronikerin, die seinen Bus wartet, fährt der Busfahrer gar nichts. Auch nicht ohne den oben erwähnten Lohnbuchhalter, auch nicht ohne die Disponentin und auch nicht ohne die Beamtin, die die Busfahrpläne erstellt hat. Er fährt nicht ohne den Straßenwart, den Produzenten der Verkehrsschilder und die Ein- und Verkäufer von dessen Firma und er fährt auch nicht ohne den Ingenieur und die Designerin, die Technik und Ausstattung seines jetzigen Busses und seines nächsten Busses planen. Er könnte nicht ohne den Fahrschullehrer fahren, der ihn ausgebildet hat und er fährt nicht einmal ohne die Polizistin, die darauf achtet, dass keine Idiotin die Busspur zuparkt. Er fährt auch nicht in einer Stadt, in der es weder Wirtshäuser, Biergärten nebst Personal, noch Friseure, noch Boutiquenbesitzer gibt, schlicht, weil da keiner hinwill. Er fährt nicht ohne den Versicherungskaufmann, der den Beitrag für die Haftpflichtversicherung kalkuliert hat und er fährt nicht ohne den Bankkaufmann, der dem Bushersteller den Warenkredit für das Rohmaterial genehmigt hat. Er fährt auch nicht ohne das Kindergartenpersonal und die Lehrerschaft, die seine Kinder betreuen und ausbilden. Ja, unser Busfahrer kann nicht einmal ohne die Reiseverkehrskauffrau in den wohlverdienten Urlaub fahren, es sei denn, er wählt nur Orte, die er selbst mit dem Bus erreichen kann und an denen er die Landessprache beherrscht – sonst wird es mit der Zimmerbuchung etwas blöde und kompliziert. Bei der Hotelbesitzerin, die ja irgendwie auch nicht „systemrelevant“ ist. Tschüss Mallorca.

Oder Kultur: Braucht unser Busfahrer Musiker, Comedians, Literaten? Braucht er nicht, wenn er taub oder blind oder beides ist. Allerdings fährt er dann auch keinen Bus mehr. Ansonsten findet er es vielleicht ganz angenehm, in seiner Freizeit Musik zu hören, zu lesen (selbst, wenn es nur die BILD sein sollte) und zu lachen. Oder wenigstens in ein Kino zu gehen, dessen Filme entweder möglichst gute Schauspieler oder möglichst gute Programmierer brauchen. Und einen Regisseur. Und einen Friseur. Und einen Maskenbildner und Kulissenbauer und Kameramann. Und einen, der die Storyboards malt. Und den Drehbuchautoren. Oder er schaut sich schon gedrehte Filme an, wozu er aber immer noch den Kinobetreiber und den Typen braucht, der die Filme im Keller liegen hat. Und wenn er lustige Bilder auf seiner Haut haben will, kann er entweder zum Kuli greifen – oder eben zum Tätowierer gehen, der das hoffentlich beständiger, professioneller und hygienischer macht. 

Die nette Geste des Fensterklatschens mag ihn freuen – aber wer wirklich meint, unser Busfahrer bräuchte mehr Gehalt: Der kann ihm, genauso wie dem Pfleger und der Putzkraft im Krankenhaus, gerne zehn oder zwanzig Euro Trinkgeld zahlen. Niemand hindert mich, einem anderen Menschen Geld zu schenken oder zu spenden. Zumindest, solange es noch Bargeld gibt. Aber auch da ist unser Staat ja dran, das abzuschaffen, der ist nämlich sauer, wenn er keine Steuern und Sozialabgaben kassieren kann. Hier hilft übrigens eine Steuerberaterin. Welche Berufe sind also nicht „systemrelevant“ und haben kein Fensterklatschen verdient? 

Unsere Gesellschaft lebt von Spezialisten und Spezialistinnen jedweder Art und je spezialisierter und seltener und zeitaufwendiger ein Beruf ist, desto besser wird er bezahlt. Das geht sogar so weit, dass ein Mensch eine absolute Hohlmeise sein und keinen annähernd verständlichen und logischen Satz herausbringen kann. Wenn er aber in der Lage ist, einen Ball, der aus jedweder Richtung geflogen kommt, festzuhalten – dann verdient er Millionen in einem Spitzenfußballverein. Bezahlt von den Tausenden von Leuten, die das nicht können, von den Busfahrern, Pflegern, Müllentsorgern, Lohnbuchhaltern, Ärzten, Rechtsanwälten, Bank- und Versicherungskaufleuten, die in ihren Berufen das Geld erwirtschaftet haben, um sich ein Ticket fürs Stadion oder ein Sky-Abo zu kaufen. Und die klatschen dann für ihn. 

von Thilo Schneider 12. Januar 2024
„Guten Abend, liebe Zuschauer! Zu unserem heutigen Thema „Wann ist man ein Nazi“ habe ich heute einen absoluten Experten auf diesem Gebiet eingeladen: Werner Strößenbrunner!“ (Applaus, der Experte im grauen Anzug mit einem schwarz-weiß-roten Ansteckerchen betritt die Bühne) „Guten Abend, Herr Strößenbrunner…“ „Obersturmbannführer Strößenbrunner bitte. Aber nennen Sie mich einfach Obersturmbannführer.“ „Danke, Herr Obersturmbannführer. Schön, dass Sie heute unter Gast sind.“ „Ja gerne und ein herzliches Heil! Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ „Herr Obersturmbannführer, ich darf Sie unserem Publikum kurz vorstellen: Vorstrafe wegen des Schmierens von Hakenkreuzen auf Synagogen, gewalttätiger Übergriff auf den Wirt eines israelischen Restaurants, Vorsitzender des Vereins „Blut und Boden“, Vorsitzender der Jugendorganisation „Reichskriegsflagge“ und Verfasser des Buchs „Vorschläge zur vorläufigen Erledigung der Remigration“. Herr Obersturmbannführer, würden Sie sagen, Sie sind ein Rechtsextremist?“ „Ach wissen Sie, was heißt denn Rechtsextremist? Heutzutage wird man viel zu schnell von den öffentlich-rechtlichen, von Soros und Rothschild finanzierten Systemmedien in die rechte Ecke geschoben. Ich würde mich als konservativen Patrioten bezeichnen.“ „Naja, das Schmieren von Hakenkreuzen ist kein Kavaliersdelikt…“ „Da war ich 17 Jahre alt. Eine bedauerliche Jugendsünde. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie das war. Ich war da in der Ausbildung zum Landschaftsmaler, das war damals so, und sollte Farbe von A nach B bringen und da war diese Synagoge und ich stand so da und plötzlich waren da mehrere Hakenkreuze drauf. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie das passieren konnte und es tut mir auch leid…“ „Die Hakenkreuze tun Ihnen leid?“ „Nein, es tut mir leid, dass ich nicht mehr Farbe dabeihatte. Ich wollte neue holen, aber da waren die Schergen der linksunterwanderten BeErDe bereits da und haben mich verhaftet. Obwohl ich gar nichts dazu konnte.“ „…und die Körperverletzung…?“ „Ach, ganz normale Wirtshausschlägerei, wie sie bei jedem Dorffest stattfindet…“ „…das war keine gezielte Attacke auf den jüdischen Besitzer?“ (seufzt) „…er wollte uns hindern, unsere Brandsätze zu zünden. Was hätten Sie denn in meiner Situation getan? Natürlich habe ich ihm auf die Menora gegeben, das war aber mehr so ein Reflex, so aus der Drehung heraus. Das wurde damals von der ostküstenfinanzierten Lokalpresse schrecklich aufgebauscht…“ „Sie müssen aber schon zugeben, dass das ein wenig den Eindruck erweckt, als hätten Sie etwas gegen Juden…“ „Was? Nein! Ich habe gar nichts gegen Juden, da sind ja schon die ursprünglich von den Nazis verschärften Waffengesetze außen vor!“ „Würden Sie, Herr Obersturmbannführer, sagen, dass Sie Antisemit sind?“ „Nur, weil ich keine Juden mag? Das wird ja wohl noch erlaubt sein!“ „Aber es sind ja nicht nur Juden, um die es Ihnen geht?“ "Ich habe ein generelles Problem mit Volk, das nicht hierhergehört! Und nicht nur ich! Sehen Sie sich doch um! Die ganzen Schleiereulen, die Kopftuchstaffeln, die stark pigmentierten Menschen, das ist doch nicht mehr schön? Da muss man doch etwas tun! Gegen diese Umvolkung muss sich doch ein rassisch gesundes Volk bis zur letzten Patrone mit fanatischem Widerstand durchsetzen!“ „Das ist ein gutes Stichwort! In Ihrem Buch zur Remigration schlagen Sie beispielsweise vor, dass Bürger mit deutschem Pass, deren Ahnenreihe nicht wenigstens vier Generationen zurückreicht, die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, wenn sie einen zweiten Pass haben.“ „Ja, da muss man sich eben mal entscheiden, ob man deutsche Sozialleistungen oder türkischen Wehrdienst und Erben genießen will. Sie haben ja auch keine zwei Frauen, sondern müssen sich für eine entscheiden. Wenn Sie jetzt nicht gerade aus dem Nahen Osten kommen.“ „Wäre das aber nicht ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz?“ „Ach, das kann man mit 2/3-Mehrheit ändern, da sehe ich jetzt kein so großes Problem.“ „Außerdem schreiben Sie, dass Sie straffällig gewordene Bürger entweder nach Möglichkeit abschieben oder zu körperlicher Arbeit verpflichten wollen!“ „Ja, ich halte das für eine gute Lösung! Wir kaufen den Marokkanern, Tunesiern oder Libyern ein Gelände in der Wüste ab und da packen wir das ganze Kroppzeug hin. Da können sie dann den ganzen Tag Sandsäcke füllen, was wiederum den Opfern in unseren Hochwassergebieten zugutekäme.“ „Auch das wäre aber nicht nur ein Verfassungsbruch, sondern sogar ein ethischer Dammbruch. Obersturmbannführer, klare Frage, klare Auskunft: Sind Sie für ethnische Säuberungen in Deutschland?“ „Ach, „ethnische Säuberungen“, das ist auch nur wieder so eine Hohlphrase aus der linken Ecke, um patriotische Deutsche zu framen und zu verunglimpfen. Ich will hier einfach nicht so viele Westasiaten haben. Ein paar sind ja in Ordnung und machen im Niedriglohnsektor einen ganz guten Job, einer muss ja das Essen an den Tisch bringen und Opa mal im Pflegeheim umdrehen, aber das heißt doch bitte nicht, dass hier gleich eine Umvolkung stattfinden muss…“ „Auch das war aber jetzt bereits rassistisch!“ „Ach, was heißt denn „rassistisch“? Ich sag doch nur, wie es ist und wie es die Mehrzahl der Bevölkerung sieht!“ „Glauben Sie, die Mehrheit sieht das so?“ „Wenn wir erst einmal die Mainstream-Medien übernommen haben, dann werden die das so sehen, mein Wort darauf!“ „Sie planen also so eine Art „Machtergreifung“? „Auch wieder so ein Wort aus der linksradikalen Mottenkiste. Wir reden davon, wie wir die politischen Verhältnisse in Deutschland im Sinne des deutschen Volkes neu ordnen können.“ „Ist es korrekt, dass Sie in Ihrer Funktion auch Gespräche mit den Spitzen der AfD führen?“ „Das sind nur private Gespräche, ganz locker und ohne jeden Hintergrund, man kennt sich doch, da sehe ich jetzt kein Problem. Die denken ja im Grunde wie wir, trauen sich nur nicht, das laut zu sagen, aber man wird ja wohl noch auf ein Bier gehen dürfen! Das wird alles viel zu hoch aufgehenkt.“ „Herr Obersturmbannführer, was wäre denn für jemanden wie Sie ein Nazi?“ „Das wäre jemand, der zwischen 1890 und 1930 geboren ist und Mitglied bei der NSDAP war. Das wäre ein Nazi.“ „War Hitler ein Nazi?“ „Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann, er war zwar Mitglied der Partei, aber er hat ja auch die Autobahnen gebaut, die Kirchensteuer eingeführt und die Schreibschrift reformiert, das darf man nicht vergessen!“ „…und was wäre für Sie ein Rechtsextremist?“ „Das wäre jemand, der Leute in Gaskammern schicken oder vernichten will und dazu auch noch Nachbarländer überfällt. Das ist ja nicht das, was wir wollen! Aufgrund der Demographie brauchen wir kein neues Land im Osten. Da müssen wir erst einmal hier wieder auffüllen.“ „Herr Obersturmbannführer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Guten Abend.“ „Heil!“
Deutende Punkerin. Bild von Wolfgang Eckert auf Pixabay.
von Thilo Schneider 15. Juli 2023
Ich wurde als Hetzer, Rechtspopulist und Rassist bezeichnet. Wenigstens ein Punkt stimmt.
Bild eines Gitarristen von Pexels auf Pixabay
von Thilo Schneider 25. Juni 2023
Kleinkünstler sollten besser links sein - wenn sie Auftritte mit Freibier haben wollen. Und sie sollten einen albernen Hut oder Pferdeschwanz haben! Und im Leben den Rettungsring daneben gegriffen haben.
Polizeikontrolle, mit Spielzeugautos nachgestellt
von Thilo Schneider 30. Mai 2023
Eine Polizeidozentin, eine Polizeikontrolle, ein "nicht so gemeinter Tweet", ein Drama in einem Akt.
Fallschirmjäger beim Sammeln
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Wenn man morgens um 8 ohne Knoppers einen Staatsstreich vereitelt
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