Im Leben eines jeden Menschen kommt der Tag, an dem er sich fragt „Wer bin ich? Wo geh ich hin? Gibt’s da Schnittchen?“ und „wieso eigentlich nicht?“ Die richtige Antwort lautet eigentlich, „is eh egal, Du musst sowieso sterben“, aber den meisten Leuten ist das ja zu wenig und die machen sich auf die Suche nach sich selbst, weil sie sich irgendwo auf dem langen Weg zwischen Geburtskanal und Abwasserrohr verloren haben.
Die Pfiffigen unter den Selbstsuchern fangen unter ihrem Bett an und arbeiten sich dann zur Matratze vor, wo sie dann liegenbleiben. Alle anderen könnten ja ihre Bekannten und Freunde fragen, was sie aber nicht machen – da sie die Antwort kennen. Das sind dann die, die irgendwann den Ratschlag erhalten haben: „Sei Du selbst.“ Was für 90% der Bevölkerung kein wirklich guter Ratschlag war.
Die machen sich jetzt auf in die Spiritualität und fragen „Wer bin ich?“ und machen intellektuelle Riesen-Klimmzüge, obwohl ein Blick auf den Personalausweis genügt hätte, da steht nicht nur der Name, sondern sogar der Geburtstag und der Ort drauf, damit man sich nicht mit sich selbst verwechselt und dann mega von sich enttäuscht ist, wenn man sich kennenlernt.
Diese Menschen träumen davon, bei sich selbst anzukommen, nur, um dann festzustellen, dass da schon einer ist, den sie doof finden und der sie nicht ´reinlässt. Das Ergebnis ist in der Regel eine saftige Identitätskrise.
Ich nehme da als bestes Beispiel meine ungute Freundin, ich nenne sie der Anonymität halber Ursula Müller, sollte dies aber jetzt eine Ursula Müller lesen – das ist jetzt nicht persönlich gemeint, ich kenne Sie ja nicht und, ganz ehrlich, ich wäre auch froh, wenn wir beide an diesem Zustand nichts ändern. Ich finde den gut so.
Aber zurück zu Ursula Müller: Als ich eines Tages Uschis (ich nenn sie gerne Uschi, da ärgert sie sich, weil sich das so prima auf „Muschi“ reimt, womit wir beim Thema „Selbstfindung“ wären) Facebook-Seite aus Versehen aufblättere, steht da plötzlich Ursula Padawana Müller.
Ein totsicheres Zeichen, dass sich Uschi auf dem Weg zur Selbstfindung in irgendeinem esoterischen Irrgarten bitterböse verlaufen hat und da eine seltsame Ausbildung zu einer magischen Heilerin und spirituellen Führerin gemacht hat. Ausgerechnet Uschi. Die sich ohne Lageplan nicht einmal in der eigenen Drei-Zimmer-Wohnung zurechtfindet. Und weil Uschi jetzt als geisterfahrende Führerin eines unangemeldeten Glaubens unterwegs ist, würgt sie sich spirituelle Weisheiten ab, als Gipfel der Eitelkeit als sogenanntes Meme gebastelt, oder, auf Deutsch: auf ihrer Seite prangt eine aufgehende Sonne, darüber in weißem Lucida-Handwrite-Fonts in Fett der Satz: „Freunde sieht man nur mit dem Herzen gut“, drunter in kleiner Arial-Schrift „Copyright bei Ursula Padawana Müller“.
Womit ich soeben die erste Copyrightverletzung meiner noch jungen Schriftstellerkarriere begangen habe.
Uschi, kriegst trotzdem kein Geld. Verklag mich. Denn abgesehen davon, dass dieser Satz wohl wirklich nur eine spirituelle Führung für Herzchirurgen ist, ist er nicht mehr als eine Binse. Das also hat Ursula Müller auf dem langen, schattigen und steinigen Weg zu sich selbst gefunden. Dass man Freunde nur mit dem Herzen gut sieht und ein Copyright drunter schreiben muss. Wegen der Feinde. Wie mir. Die sowas dann klauen und in Artikeln verwursten.
Ich gebe zu, ich finde das dünn. Und peinlich außerdem. Dafür hat sich meiner Ansicht nach die Suche nicht so wirklich rentiert, aber Uschi scheint damit glücklich. Und wer oder was bin ich, um Menschen, die zu sich selbst gefunden haben, zu kritisieren? Ich sags: ich bin der Typ, der am 20sten gerne seine Miete hätte, völlig unabhängig davon, ob sich jemand noch auf der Selbstsuche befindet oder schon seine Chakren auf sein Innerstes Ich feinjustiert hat. Denn mein Bäcker will für seine Brötchen auch lieber Bares sehen, statt sie gegen einen guten Rat zum Ableiten seiner negativ-materialistischen Energien zu bekommen.
Fairerweise müsste ich also Ursula jetzt die Zusammenhänge zwischen Eigen- und Fremdbild erläutern, aber selbst als Nichtmediziner weiß ich, dass hier fünf Milligramm Haloperidol aus der guten Küche der Psychopharmazeutika einen viel besseren Effekt hätten, denn Padawane der dummen Seite der Macht hören ja nicht auf Menschen aus der Dimension der Normalos, sondern lieber auf die eigene innere Stimme. Was blöderweise aber auch einen intelligenten Gesprächspartner voraussetzt. Sonst führt das nämlich zu eitlen, pseudoindischen Zwischennamen und die sogenannte "Erleuchtung" wird locker vom trüben Licht eines Handy-Displays getoppt.
Nein, liebe Mitmenschen, wenn Ihr wirklich zu Euch finden wollt, dann sucht Euch einen Beruf, der auch Berufung ist, einen Partner, der kein Arschloch ist und bezahlt Eure Rechnungen.
Denn dann müsst Ihr den Weg zu Euch selbst nicht zu Fuß gehen, sondern könnt Euch ein Taxi leisten!