Mir tut es weh, das zu sagen: Aber es ist gut, dass ich nicht deutscher Kanzler bin. Für mich und für Deutschland. Neben dem, dass ich mich wahrscheinlich von den ganzen Banketten und Häppchen mittlerweile selbständig von Termin zu Termin rollen könnte, wäre ich mit meiner Macht viel zu verspielt. Ich hätte viel zu viel Freude an meiner Kanzlerschaft.
In Kenntnis der Seele meiner Regierten würde ich aus Spaß beispielsweise Folgendes machen: Ich würde in der Presse lancieren, dass in Südamerika Menschen durch „kosmische Strahlung“ sterben oder wenigstens schlimme Gehirnschäden erleiden. Dazwischen würde ich in der ein- oder anderen Natur- und Geographie-Doku der Öffentlich-Redlichen einstreuen lassen, dass dieses Phänomen den Südamerikanern bereits seit Jahrhunderten bekannt ist, weswegen sie einerseits Wollmützen mit Bommeln tragen und außerdem Panflöte spielen, weil die Atemfrequenz beim Spielen den Gehirndruck und damit die Schädlichkeit der Strahlen minimiert. Das ist zwar hirnrissig, aber bei meinen Regierten muss die Lüge ja bekanntlich nur groß genug sein…
Jetzt schnappe ich mir irgendeinen Experten, der „frühzeitig warnt“. Das kann in diesem Fall ein Klimaforscher oder Quantenmechaniker, ein Onkologe oder Gehirnchirurg sein, der seinen Doktortitel an der University of Bahamas gekauft hat, das spielt keine Rolle. Er muss nur seriös aussehen. Zur Not geht auch mein Friseur, wichtig ist, dass er in einem Fernseh- oder Radiointerview als „Experte“ bezeichnet wird. Diesen lasse ich nun raunen, dass wir durchaus damit rechnen müssen, dieses Phänomen auch in Deutschland kennenzulernen. Das Ganze garniere ich mit Bildern von Leuten mit Wollmützen in New York und Kasachstan, die ebenfalls „erste Auswirkungen spüren“.
Im Fernsehen lasse ich verstärkt Reportagen laufen: Über kosmische Strahlung und „Strahlungslöcher“, die den Menschen in Lampukistan schwer zu schaffen machen, dazwischen Dokus über die Produktion von Wollmützen („Vom Hammel zur Bommel – wo eine Wolle ist, ist auch ein Weg“) und Panflöten, vielleicht findet sich in der öffentlich-rechtlichen Filmbibliothek ein Science Fiction-Film, in dem die Menschheit ausgerechnet von kosmischer Strahlung ausgelöscht wurde.
Langsam steigt der Angst- und Stresspegel der Bevölkerung. Erste „Influenzer“ und Blogger springen jetzt auf und erzählen auf ihren Kanälen von der „unterschätzten Gefahr“, der ein- oder andere zeigt vielleicht auch seine stylishe Wollmütze mit Bommel herum und nun wird auch die Opposition meiner Regierung (sofern ich sie zulasse) lebendig. Es folgen mehrere „kleine Anfragen“ im Bundestag zu den Themen Krisenprävention, staatliche Wollvorräte und den Sterblichkeitsraten von kosmisch Verstrahlten sowie Anzahl der in der Bundesrepublik hergestellten Panflöten. Der Mechanismus der parlamentarischen und wissenschaftlichen Dienste gerät in Bewegung.
In den sozialen Medien tobt zu diesem Zeitpunkt bereits ein Krieg zwischen sogenannten „Strahlungsgläubigen“ und „Strahlungsleugnern“, der an gegenseitiger Erbitterung die Schlacht von Verdun in den Schatten stellt. Meine Bürger stellen Videos ins Web, in denen man sie pudelbemützt Panflöte spielen sieht.
Es wird Zeit für den großen Wurf: Wenn die BILD Schlagzeilen wie „Erste Strahlungstote in Rumänien und Bulgarien“ bringt, stelle ich mich gemeinsam mit meinem Außenminister vor die Kamera und beschwöre den „europäischen Zusammenhalt in dieser Krise“. Nun brauche ich irgendeinen Kritiker – ebenfalls „Experte“ – der die These der „Toten durch kosmische Strahlung“ in Zweifel zieht, vielleicht sogar als Humbug bezeichnet. Den lasse ich auf Youtube und in ein paar Morgenmagazinen zu Wort kommen.
Selbstverständlich, um ihn dann als Scharlatan zu schlachten und der Lächerlichkeit preiszugeben. Von nun an habe ich von tatsächlichen und echten Experten keinen Widerspruch mehr zu erwarten. Die sind gewarnt und wollen ihre öffentlichen Fördergelder nicht verlieren.
Es läuft. Schafscherer und Wollproduzenten freuen sich über steigende Umsatzzahlen und die Modeindustrie verkauft Wollbommelmützen wie geschnittenes Brot. Der Musikalienhandel wird von Panflötenbestellungen überrollt, Musikschulen gucken überrascht durch die Flötenfinger. Ich lasse ein paar seltsame, unreflektierte Berechnungen und Grafiken in die Menge werfen und beginne, Opferzahlen frei zu erfinden. Das flankiere ich mit Schlagzeilen wie „Skifahrer ohne Bommelmütze tödlich verunglückt – ist die kosmische Strahlung schuld?“ oder „Schon 5.000 Tote in Deutschland ohne Bommelmütze“. Ich lasse SPIEGEL und Co Berichte über hungernde Pandas schreiben, weil der komplette Bambus mittlerweile der chinesischen Panflötenproduktion zum Opfer fällt.
Ich lache mir den Hintern weg: Während die Opposition endlich Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor kosmischer Strahlung fordert, melden erste Schäfer, Baumwoll- und Textilunternehmer Materialmangel. Es findet ein Run auf Wolllädchen und Handarbeitsartikel statt, die Volkshochschule bietet Kurse zum Thema „Wollbommelmützen selber stricken“ an und ist binnen Minuten komplett ausgebucht. Musik- und Handarbeitslehrerinnen machen auf die Missstände an ihren Schulen aufmerksam und fordern endlich angemessene Gehälter. Vereinzelt finden Demos unter dem Motto „Bringt uns endlich die Panflötentöne bei“ statt. Meine Experten erklären eindringlich, dass weder Basecaps, noch Hüte oder Helme, weder Käppis oder Kippas gegen die Strahlung helfen – einzig Pudelmützen mit Bommel sind das Gebot der Stunde. Quer- und Blockflöten werden verboten, die einschlägigen Firmen stellen die Produktion auf Panflöten um.
Es wird Zeit für den finalen Schlag: Ich verhänge eine Ausgangsbeschränkung und eine Wollbommelmützen- und Pan(p)flötenpflicht. Wer ohne Pudelmütze und Instrument erwischt wird, wird mit saftigen Geld- oder Gefängnisstrafen belegt. Innerhalb von vier Wochen haben sich meine Regierten bei schönstem Sommerwetter in ein Heer von bebommelten Mützenträgern verwandelt, die sich gegenseitig auf ihren Holzblasinstrumenten verpfeifen, wenn sie einen Barhäuptigen sichten. Es gibt Prügeleien vor Handarbeitsläden um Wollknäuel, Kanada und Schweden melden Lieferengpässe für Holz. Die heimische Forstwirtschaft rodet radikal Odenwald und Spessart für den Nachschub der Holzblasinstrumentenbauer. Demonstranten, die für den Erhalt der Wälder Bäume besetzen, werden von aufgebrachten Mützenträgern gelyncht. Die heimische Presse berichtet über das Ausland mit hämischem „Die werden schon sehen, was sie davon haben“-Tenor und ich behaupte, die Amerikaner hätten für Deutschland bestimmte Panflöten abgefangen.
Unter all den bemützten Pfeifern irren verstörte Indios aus Peru herum und verstehen die Welt nicht mehr. „El cóndor pasa“ wird inoffizielle Hymne. Im Internet kursieren Videos von Spinnern, die die „kosmische Strahlung“ als „Mahnung“ und wahlweise „Strafe Gottes“ oder der Natur oder der Pandabären interpretieren, selbstverständlich unterlegt mit trister Panflötenmusik. An den Flughäfen und über die Grenze kommen nur noch Leute mit Mütze und Musikinstrument ins Land.
Jeden Mittwoch gebe ich eine Pressekonferenz, in der ich behaupte, noch keinen Ausstiegszeitpunkt zu kennen und in der ich mich für das Vertrauen meiner Regierten in mich bedanke. Dann kehre ich laut lachend zu dem Häppchen und Buffets zurück. Mein Volk ist mit Bommeln und Blasen beschäftigt und ich kann unter der beifälligen Flötenmusik meiner Untertanen endlich Grundrechte außer Kraft setzen. Alles richtig gemacht.