Gestern sagte ich zum Schatz: „Komm Schatz, das Wetter ist so schön, lass uns nach draußen gehen und jenem kleinen Café dort am Eck etwas Umsatz vorbeibringen und vielleicht gibt es da ja auch Käsesahne.“ Der Schatz sah mich eine Sekunde zu lange an und antwortete: „Du weißt schon, dass da das sehr elendige Virus lauert…?“ Daran hatte ich nicht gedacht. Seit wir uns vor einer Woche freiwillig in Quarantäne begeben haben, haben wir die Abende damit verbracht, Netflix ´rauf und runter zu gucken und so haben wir eigentlich schon so viel angesehen, dass ich mir zum Schluss eine finnische Dokumentation über das Leben der Stockenten in Marsipulami angeschaut habe. Nicht uninteressant, aber auch jetzt nicht so prall und abendfüllend, weil es eben ein Kurzfilm war und auch nicht als „Hitlers höckelige Enten“ angepriesen wurde, was wenigstens irgendwie als lehrreiche Geschichtsdoku durchgegangen wäre. Wir hätten jetzt wirklich einmal raus gemusst. Und wenn ich das sage, dann stimmt das. Ich gehe nämlich nicht gerne raus, weil es da so viele sehr fremde Menschen hat, die bitte auch fremd bleiben sollen.
Aber der Schatz schüttelte entschieden den Kopf. Dann würden wir eben in der Wohnung bleiben. Wir haben ja einen Balkon. Die Vorräte sind ausreichend und dank des neuen Wundersprudlers haben wir immer auch Mineralwasser ohne Mineralien, aber dafür mit Kohlensäure im Haus. Wenigstens, bis die CO2-Kartusche leer ist. Oder was immer da drin ist. Das ist mir doch egal.
Der Schatz brachte zwei gefüllte Kaffeetassen auf den Balkon und dann saßen wir da. „Pfft“, machte der Schatz. „Hrmpf“, antwortete ich. „Ist schön hier draußen“, bemerkte der Schatz. „Jo“, bestätigte ich. Dann sahen wir uns eine Weile an. So ungefähr eine Minute. „Gut, dass das Wetter besser wurde“, sagte der Schatz. „Ja, schade, dass wir nicht raus können“, gab ich zurück. Danach wieder Schweigen. Dann seufzte meine Gattin. „Mir ist langweilig“, lies sie mich an ihren Befindlichkeiten teilhaben. „Wir könnten ja was spielen“, schlug ich vor, „Halma oder so.“ „Wir haben kein Halma“, stellte der Schatz fest. „Aber ein Schachbrett. Und Figuren dazu“, machte ich einen Alternativvorschlag. „Ich bin eine miserable Schachspielerin und Du ein miserabler Gewinner“, stellte sie, sachlich richtig, fest. „Ich meine ja nur…“, verteidigte ich mich.
Schweigen.
„Du könntest das Bad putzen“, war mein nächster Vorschlag. „Und Du könntest sterben gehen“, gab der Schatz etwas patzig zurück, „ich putze das Bad und Du hockst hier schön im Freien und spielst mit dem Handy und den Klickern. Putze Du doch das Bad.“ „Nein, das geht nicht“, war es diesmal an mir, eine Feststellung zu treffen, „weil ich nämlich dazu keine Lust habe.“ „Ich auch nicht!“, sagte der Schatz. Dann wieder Schweigen. Die Sonne wärmte angenehm mein Gesicht, Vögel sangen jubilierend ihre Lieder und etwas in der Ferne hörte man leise das Martinshorn eines öffentlichen Fahrzeugs. „Ist ganz schön ruhig, so ohne den üblichen Motorenlärm“, erriet der Schatz meine Gedanken. „Hmmhmm“, antwortete ich und schloss die Augen, weil die Sonne etwas blendete. Und wieder seufzte der Schatz.
„Was meinst Du, wie lange dieser Zustand noch andauert?“, fragte mich die Gattin unvermittelt. „Keine Ahnung, ich bin kein Virologe. Ich erkenne einen Mundschutz, wenn ich ihn sehe. Das war´s dann“, antwortete ich. „Das meine ich nicht. Ich meine den Zustand, dass uns so langweilig ist“, korrigierte sich der Schatz. „Nicht uns ist langweilig – Dir ist langweilig“, stellte ich richtig. „Du bist langweilig“, stellte der Schatz noch richtiger. Oha. Da braute sich etwas zusammen. Nichts Gutes. Es sah so aus, als würde der Schatz vor Langeweile einen Streit vom Zaun brechen wollen. Ich musste ihn ablenken. Ich öffnete die Augen und deutete in irgendeine Richtung. „Schau mal, ein Eichhörnchen“, rief ich. Der Schatz drehte sich herum und blickte in die Richtung meines ausgestreckten Armes. „Wo?“, wollte sie wissen. „Schon weg“, log ich ihn an. Der Schatz seufzte erneut und kramte sein Handy aus der Hosentasche.
Ich schloss wieder die Augen.
„Wusstest Du, dass es in Nordkorea keinen Corona-Infizierten gibt?“, unterbrach der Schatz meine Gedanken, die sich an vergangene Zeiten in Biergärten und Straßencafés drehten. „Dachte ich mir. Falls es da je einen Kranken gab, haben die ihn als Volksverräter vor die Wand gestellt“, sagte ich, „als Diktator würde ich das jedenfalls so machen!“ „Kann gut sein…“, kam es von ihr zurück.
Schweigen.
Dann: „Da ist ein Video aus dem Iran, da leckt einer die Gitter an einem Schrein ab, um zu beweisen, dass er nichts außer Allah fürchtet und andere das auch machen“, kommentierte der Schatz und klang etwas erschüttert. „Dann wird er seinen Allah ja bald persönlich kennenlernen, er und die anderen Leckermäuler. Es hat seinen Grund, warum die Perser weder das Penicillin noch die Pasteurisierung entwickelt haben“, belehrte ich meine Gattin, „aber immerhin haben sie das Schachspiel erfunden. Wahrscheinlich saßen die vor dem Islam auch in Quarantäne und hatten Zeit.“ „Auf jeden Fall bekommt da das Wort „Speichelprobe“ einen völlig neuen Sinn“, sinnierte der Schatz zurück.
Schweigen.
„Ich könnte mir ein Schild malen, auf dem „Ich habe Corona, halten Sie bitte Abstand!“ steht und mir um den Hals hängen und durch die Innenstadt laufen und sehen, was passiert. Wäre sicher eine interessante Reportage“, kam mir die Idee für eine Recherche. „Gute Idee. Bestenfalls wirst Du verprügelt oder totgeschlagen, schlimmstenfalls kriegst Du eine Anzeige wegen Belästigung und musst eine Strafe zahlen“, lehnte der Schatz ab. „Und Du solltest dringend an Deinen Prioritäten arbeiten“, konterte ich. Der Schatz hustete. Aber nur weil er sich am Kaffee verschluckt hatte. Hoffte ich jedenfalls.
„Wir könnten miteinander ´rummachen“, schlug ich in den Huster hinein vor. „Okay“, nahm der Schatz den Vorschlag an, „aber erst putzen wir das Bad. Damit sich da kein Virus festsetzt. Muss ja nicht gleich Corona sein.“ Und das haben wir dann auch so gemacht. In dieser Reihenfolge.