In Zeiten einer beginnenden Pandemie ist es angebracht, Ruhe zu bewahren, einen kühlen Kopf zu behalten, Sicherheits- und Hygienemaßnahmen zu ergreifen und sich von panischen Meldungen nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Wichtig sind jetzt ausreichende Wasservorräte und ein funktionierendes WLAN, um Kontakt zur Außenwelt zu halten.
„Und wie lange willst Du jetzt da drin bleiben?“, ruft der Schatz durch die geschlossene Toilettentüre. „So lange, wie es eben dauert“, rufe ich zurück. „Und wie lange wird das sein?“, will der Schatz wissen. „Was weiß ich? Es dauert, wie es eben dauert!“, antworte ich und google nach einer Meldung der Stadtverwaltung, wie viele es von uns schon hier im Schtetl erwischt hat. Aber der Schatz kann ja keine Ruhe geben. „Du bist schon eine halbe Stunde da drin!“, meldet er mir meine Aufenthaltsdauer. „Andere müssen vielleicht auch mal aufs Klo“, gibt er zusätzlich zu bedenken. „Musst Du denn?“, frage ich zurück. „Nein, noch nicht, aber vielleicht später“, höre ich den Schatz durch die Türe und er fügt „sicher irgendwann später“ hinzu, um mir Druck und ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich gebe dem Schatz einen Ratschlag: „Lass die Finger vom Tee und vom Wasser! Du weist eh nicht, wer da schon alles seine Hände drin hatte!“ Von der anderen Seite der Toilettentüre dringt entnervtes Schnaufen. „Das ist lächerlich“, merkt der Schatz an, „wenn Du nicht weg willst, dann sag das doch einfach. „Schutz vor Corona“ ist wirklich die dümmste Ausrede, um nicht mit mir Laufen gehen zu müssen!“
Ich muss sagen, ich finde den Schatz ziemlich leichtsinnig. Wenn ich mit ihm Laufen gehe, dann kann es durchaus sein, dass ich auf infizierte Menschen treffe, die dann husten und das war es dann und dann muss ich in Quarantäne ins Krankenhaus. Da muss ich dann bis zu meinem raschen Tode Putengeschnetzeltes aus der Großküche essen und da bin ich doch lieber hier in meinen vier Wänden und in Sicherheit. Ich hasse Putengeschnetzeltes.
„Das ist keine Ausrede“, rufe ich durch die geschlossene Türe zurück, „sondern eine verantwortungsvolle und notwendige Schutzmaßnahme.“ „Unsinn!“, brüllt der Schatz zurück, „wenn Du nicht mit mir Laufen willst, dann mache wenigstens das Klo frei und bleibe eben zu Hause!“ Ha, das hätte sie gerne! Ich bin ja nicht lebensmüde! „Und was ist mit Melanie?“, will ich wissen. „Was soll mit dem Kind denn sein? Sie war in der Schule und jetzt ist sie wieder da!“ „Ja eben. Sie war in der Schule. Und wer weiß, was sie da jetzt alles mit angeschleppt hat. Ich geh doch nicht in eine kontaminierte Wohnung“, gebe ich zu bedenken. „Du Spinner!“, brüllt der Schatz, jetzt zornig, wie mir scheint, durch die verschlossene Türe. Und dann schaltet der Schatz auf die Mutterfrequenz um, die nur echte Mütter beherrschen und die ich so hasse, weil sie mich in den Ohren schmerzt: „Du kommst jetzt SOFORT da raus!“ Dass sie kein „sonst setzt es was“ hintendran hängt, ist gerade alles. Das wäre aber auch sinnlos, dazu müsste sie die Türe eintreten. Nicht, dass ich das dem Schatz nicht zutrauen würde, er kann furchterregend sein, aber er hat vorgestern erst sämtliche Türen abgewischt und das wäre dann umsonst gewesen. Der Schatz weiß es, ich weiß es. „Ich DENK NICHT DRAN“, verteidige ich mich, „ich schütze nur mich und Euch! Hol mich doch, wenn Du meinst!“ Und ich fürchte, der letzte Halbsatz klang jetzt triumphierender, als er sein sollte.
„Du kannst nicht ewig da drin bleiben!“, gibt der Schatz zu bedenken. „Ach ja? Ich habe hier Wasser und Klopapier, das zur Not auch essbar ist. Und ich muss ja auch nicht ewig hier drin bleiben, sondern nur, bis ein Impfstoff gefunden wird! Die Israelis sind schon dran!“ Auf der anderen Seite der Türe ist es einen Moment ruhig. Dann der Appell: „Das kann noch Wochen dauern. Du kannst keine Wochen da drin bleiben! Andere müssen außerdem auch aufs Klo!“ „Gute Güte, nehmt die Dusche“, unterbreite ich einen Lösungsvorschlag. „Auch für das große Geschäft?“, fragt der Schatz nach. Daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht. „Wir haben öffentliche Grünanlagen vor der Türe, fühlt Euch frei. Was Hundebesitzern recht ist, kann uns nur billig sein. Nehmt Plastiktütchen mit. Wofür zahle ich schließlich Steuern!“, schlage ich vor.
Wieder kurze Stille. Dann nochmals ein, diesmal erbittertes, „Du Spinner!“. Dann hämmert der Schatz permanent gegen die Toilettentüre. Anscheinend versucht meine Gattin es mit psychologischer Kriegsführung. Aber als schlachtenerprobter Computerspielgeneral habe ich natürlich damit gerechnet und bin vorbereitet. Ich stecke mir die mitgebrachten Beats-Kopfhörer ins Handy und drehe Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ volle Kanne auf und warte zehn Minuten. Na also: Der Schatz hat aufgehört zu klopfen. Ich höre ein Klappern aus der Küche. Entweder sucht sich der Schatz jetzt eine Waffe, beispielsweise eine Axt, oder er packt zusammen, weil er zu seinen Eltern und einer freien Toilette zieht. „Was machst Du?“, brülle ich misstrauisch und ich fürchte, ich habe in meinem genialen Quarantäneplan etwas übersehen. Es ist wie bei Clausewitz: „So stimmt sich im Kriege durch den Einfluss unzähliger kleiner Umstände, die auf dem Papier nie gehörig in Betrachtung kommen können, alles herab, und man bleibt weit hinter dem Ziel.“ Sie hat etwas vor… „Lass Dich überraschen“, ahne ich mehr als ich es höre, weil sie das mittellaut vor sich hin brummt.
Etwa zehn Minuten ist Ruhe. Ich beschimpfe auf Facebook Hamsterkäufer und Corona-Paniker und vertreibe mir die Zeit, auf dem geschlossenen Toilettendeckel sitzend. Anschließend schaue ich mir in paar alte „Switch“ – Folgen auf dem I-Pad an. Bis jetzt sieht es nach einem klaren Sieg für mich aus. Dann dringt mir ein gar lieblicher Duft in die Nase: Der Geruch von gebratenem Hühnchen. Das Miststück zieht alle Register. Chemische Kriegführung. Clever. Dreckig. „Du glaubst wohl, so kriegst Du mich weich!“, rufe ich unsicher durch die geschlossene Toilettentüre. Als Antwort macht es auf meinem Handy „Ping“ und es erscheint das Bild eines Brathähnchens in unserem Backofen. Dann folgt ein Text: „Wir essen jetzt gleich das. Du hast ja Dein Klopapier. Wohl bekomms.“
Okay. Wenn der Schatz glaubt, dass er mich damit dazu bringt, meine selbstgewählte Sicherheitsquarantäne aufzugeben – dann hat er damit recht. „Gut, ich weiche der Gewalt und komme mit erhobenen Händen ´raus! Tu mir nichts!“, flehe ich, „und lege noch ein Gedeck mehr mit auf!“ Ich schließe die Türe auf und öffne sie und blitzschnell greift eine Hand nach dem Türschlüssel und zieht ihn ab. „Na also!“, sagt der Schatz zufrieden, „Du schaust jetzt nach dem Hähnchen und ich tu, was eine Frau allein tun muss.“ Sprichts und verschwindet hinter mir in der Türe, die mit einem Wumms ins Schloss fällt. Danach ist noch das Quietschen des sich umdrehenden Türschlüssels zu hören und dann das Klappern, mit dem der Toilettendeckel geöffnet wird.
Gut, ich habe verloren. Man muss Niederlagen auch anerkennen und kann sich ja nicht bis zur letzten Minute und Patrone im häuslichen Führerbunker verwolfsschanzen. Wahrscheinlich werden wir jetzt alle sterben. Aber wenigstens gibt es vorher noch Brathähnchen!